Vor fast sechs Jahren kam Amir* in die Schweiz – 17-jährig war er damals. Zumindest stand dieses Alter auf seinen Dokumenten. Amir lebte zuvor nämlich einige Zeit in Schweden, wo die Behörden nach einer Knochenanalyse ein Geburtsdatum für ihn festgelegt hatten.
In der Schweiz jedoch traute das Staatssekretariat für Migration (SEM) diesem Gutachten nicht. Es korrigierte den Geburtstermin von Amir und machte ihn auf diese Weise einige Monate älter, wodurch er bei seiner Einreise in der Schweiz plötzlich volljährig war.
Amir wehrte sich gegen das SEM
Für Amir hatte dieser Entscheid einschneidende Konsequenzen. Als Minderjähriger hätte er in der Schweiz ein neues Asylgesuch einreichen können, obwohl er zuvor in Schweden war. Als Volljähriger hingegen hätte ihn die Schweiz gemäss Dublin-Abkommen nach Schweden zurückschicken können.
Nach Schweden wollte Amir aber nicht mehr, weil das Land damals einen restriktiven Umgang mit Afghanen pflegte, und ihm mit Erreichen der Volljährigkeit die Ausschaffung gedroht hätte. Amir wehrte sich darum gegen seine von der Schweiz verfügte Volljährigkeit – und bekam nun Recht, vom UNO-Kinderrechtsausschuss.
UNO fordert Wiedergutmachung
Dieser kritisiert die Abklärungen des SEM im Fall von Amir in mehreren Punkten. So sei ihm bei den Befragungen keine Vertrauensperson zur Seite gestellt worden, die ihn hätte unterstützen können. Weiter hätten keine kinderpsychologischen Abklärungen stattgefunden. Der UNO-Ausschuss zeigte auch kein Verständnis dafür, dass die Schweizer Behörden das Altersgutachten aus Schweden bei ihrer Beurteilung ignoriert hätten.
Sie wollten ihn einfach loswerden und zurück nach Schweden schicken, Fall erledigt.
Die Schweiz müsse nun für Wiedergutmachung sorgen, verlangt der UNO-Kinderrechtsausschuss – wie diese aussehen soll, lässt er offen. Guido Ehrler, der Anwalt von Amir, sagt, aus seiner Sicht gebe es nur eine Erklärung dafür, warum das SEM vom schwedischen Altersgutachten abgewichen sei: «Sie wollten ihn einfach loswerden und zurück nach Schweden schicken, Fall erledigt.» Im Zweifelsfall müsse man sich für die Minderjährigkeit entscheiden, sagt Ehrler. «Diesen Grundsatz hat die Schweiz hier umgedreht.»
SEM: Einige Kritikpunkte sind schon veraltet
Beim Staatssekretariat für Migration heisst es, es sei noch zu früh, um sich detailliert zu diesem Fall äussern zu können – man habe die Rüge der UNO eben erst erhalten. «Wir prüfen nun, ob wir unsere Praxis anpassen müssen und auch, ob es eine Wiedergutmachung braucht», sagt SEM-Sprecher Daniel Bach.
Seit Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes ist der Umgang mit minderjährigen Asylsuchenden präziser geregelt.
Bach betont, dass der Fall aussergewöhnlich sei, auch wegen der langen Dauer des Rechtsstreites. Einige Kritikpunkte der UNO seien daher bereits nicht mehr aktuell. Amirs Fall reiche zurück ins 2018. «Das war noch vor Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes», sagt Bach. «Seither ist der Umgang mit minderjährigen Asylsuchenden präziser geregelt, der Beizug einer Vertrauensperson beispielsweise ist mittlerweile zwingend vorgeschrieben.»
Die letzten Jahre lebte Amir in einer Asylunterkunft im Kanton Basel-Landschaft. Während des fast sechs Jahre dauernden Verfahrens durfte er weder arbeiten noch eine Schule besuchen. Nun kann er in der Schweiz ein neues Asylgesuch stellen, als Erwachsener.
*Der Name des Asylsuchenden wurde geändert.