Die Abschaltung des ersten Schweizer Atomkraftwerks ist der Vollzug eines historischen politischen Entscheids: 2011, nur zwei Monate nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, entschied die damalige Frauenmehrheit im Bundesrat, aus der Atomkraft auszusteigen. Ein solcher Entscheid wäre kaum mehr denkbar bei der heutigen Zusammensetzung des Bundesrates, sind sich viele Beobachter einig.
2017 segnete dann auch das Stimmvolk den Atomausstieg mit der Energiestrategie ab. Es ist allerdings ein langsames Ende der Atomkraft. Solange die Kraftwerke Beznau, Gösgen und Leibstadt als sicher eingestuft oder nachgerüstet werden, dürfen sie am Netz bleiben.
«Langsame Zeitgenossen»
Gerade im Nachbarland Deutschland, das bis 2022 die letzten AKWs abschalten will, löste der helvetische Ausstieg oft Kopfschütteln aus. Die Schweizer seien halt langsame Zeitgenossen, resümierte der «Spiegel».
Doch im Klimajahr 2019 zeigt sich immer deutlicher, dass der langsame Abschied von der Atomkraft wohl der richtige ist. Nur wenige Länder in Europa produzieren so wie die Schweiz nahezu klimaneutralen Strom: dank 58 Prozent Wasserkraft und 33 Prozent Atomkraft. Die Produktion aus Solarzellen, Windkraftwerken und anderen erneuerbaren Energien macht in der Schweiz laut Bundesamt für Energie erst magere sechs Prozent aus. Zum Vergleich: Deutschland kommt mittlerweile auf 40 Prozent Öko-Strom. Etwa gleich viel produziert der nördliche Nachbar aber mit klimaschädlichen Kohle- und Gaskraftwerken.
Der Ausbau von Solarstrom geht voran, aber nur langsam. Der Zubau von Wasser- und Windkraftwerken ist schwierig, es gibt Umweltbedenken. Die Schweiz ist also noch nicht bereit, ganz aus der Atomkraft auszusteigen. Nur schon die Abschaltung von Mühleberg könnte zu mehr Import von Kohlestrom aus Deutschland führen, prognostiziert der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Und die Wirtschaft ist kaum bereit, nur teuren Öko-Strom im Ausland einzukaufen.
Bevölkerung muss mitziehen
Der Bundesrat will nun den Ausbau der erneuerbaren Energien ankurbeln. Mit einem neuen Energiepaket, das auch den Ausbau der Wasserkraft finanziell stärker unterstützen wird. Doch die finanziellen Anreize bringen nur wenig, wenn die Bevölkerung nicht mitzieht. Klimaschutz bedeutet in einzelnen Fällen auch Abstriche beim Landschaftsschutz: Man muss sich wohl damit abfinden, dass in einzelnen Bergtälern neue Staumauern gebaut werden.
Wenig realistisch ist die Idee, die AKWs mit Stromsparen zu eliminieren. Wenn die heutigen Benzinautos in naher Zukunft mehrheitlich elektrisch fahren, wird der Stromverbrauch wohl nochmals deutlich ansteigen.
Um zu verhindern, dass der Schweizer Strom mit jedem AKW, das vom Netz geht, nicht schmutziger wird, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien nun also forciert werden.