Über zwei Monate ist es her, seit ein Gewitter Brienz BE heimsuchte und den Milibach zu einem reisendem Fluss verwandelte. Der Murgang beschädigte dutzende Häuser – 70 Personen mussten evakuiert werden. Im «Club» zieht Gemeinderatspräsident Peter Zumbrunn eine Bilanz.
SRF New: Sie sind in den Ferien in Tirol. Konnten Sie nach der Unwetterkatastrophe endlich eine Pause einlegen und aus dem Notfallmodus aussteigen?
Peter Zumbrunn: Aus dem Notfallmodus sind wir raus. Die grossen Aufräumarbeiten sind erledigt, jetzt stehen provisorische Schutzmassnahmen an, danach die langfristigen.
Was heisst das konkret?
Wir haben Dämme erstellt und in den letzten zehn Tagen die Infrastruktur wieder aufgebaut. Rund drei Viertel der 70 Evakuierten sind in ihre Häuser zurückgekehrt. Der Geschiebesammler hat seine Aufgabe erfüllt und wird nun gesichert.
Bis alles greift, vergehen wohl drei Jahre.
Bereits 2005 wurde Brienz getroffen. Als Folge kam der Bau eines 16 Meter hohen Geschiebesammlers oben am Milibach. Gibt es Pläne, diesen zu erhöhen?
Das braucht Zeit: Ausschreibungen, Raumplanungsentscheide, Umzonungen. Bis alles greift, vergehen wohl drei Jahre.
Und in der Zwischenzeit?
Der Geschiebesammler ist geräumt, aber klar: Wenn es wieder ein solches 200- bis 300-Jahr-Ereignis gibt, haben wir ein Problem. Ein Restrisiko bleibt immer.
Wie viele Häuser müssen aufgegeben werden?
Wir sprechen von acht bis zehn Häusern, die stark beschädigt sind. Bis Dezember wollen wir den Betroffenen sagen, welche Häuser definitiv nicht mehr bewohnbar sind. Doch man darf nicht vergessen: Es ist erst zwei Monate her. Das braucht Zeit.
Für die Betroffenen ohne Haus fühlt es sich wie eine Ewigkeit an. Wie gehen Sie mit der Kritik aus dem Dorf um?
Kritik ist normal. Wenn ich zehn Entscheide treffe, sind hoffentlich acht richtig, einer mittelmässig und einer falsch. Aber lieber habe ich Kritik, als dass gar nichts passiert. Betroffene sind emotional angeschlagen, das verstehe ich. Aber es braucht Zeit für solide Abklärungen. Wenn in der Eile Fehlentscheide getroffen werden, ist niemandem gedient.
Mit welchen Kosten rechnen Sie?
Das können wir noch nicht seriös sagen. Momentan bewegen wir uns im Millionenbereich, aber konkrete Zahlen zu nennen, ist heikel. Oft wird später mehr daraus.
Die Gemeinde kann auch nicht für jedes Problem eine fertige Lösung auf dem Silbertablett präsentieren.
Aus dem Tessin kommt die Idee, einen Fonds für Naturkatastrophen einzurichten, eine Art solidarische Katastrophen-Kasse. Braucht es das?
Ich bin geteilter Meinung. Solche Fonds führen zu Verteilkämpfen, weil entschieden werden muss, ab wann und wer sich daraus bedienen darf.
Was haben Sie aus dem Ereignis gelernt?
Die Leute erwarten oft, dass die Öffentlichkeit alles regelt. Doch auch Betroffene müssen sich aktiv um Informationen bemühen. Wir haben 70 Menschen evakuiert, aber können nicht jedem ein persönliches Gespräch anbieten. Die Gemeinde kann auch nicht für jedes Problem eine fertige Lösung auf dem Silbertablett präsentieren. Jeder trägt die Hauptverantwortung für sich selbst – auch mit der Unterstützung der Gemeinde.
Woran liegt das?
Ich glaube, das ist eine Nachwirkung von Corona. Damals hat der Staat Geld verteilt und viele denken nun, das sei bei jeder Krise möglich. Doch wer seinen Hausrat zu tief versichert, ist selbst schuld. Jahrelang von tiefen Prämien profitieren – aber im Ernstfall soll die Öffentlichkeit einspringen? Das ist keine Lösung.
Das Gespräch führte Sofiya Miroshnyk.