- Der rasche Atomausstieg ist nach dem Volksnein vom Tisch. Aber eine Aussage von Energieministerin Leuthard liess aufhorchen.
- Es sei wahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren weitere Kernkraftwerke schliessen würden, so Leuthard. Aus ökonomischen Gründen. Gibt es Hinweise darauf? Die Einschätzungen von Wirtschaftsredaktor Matthias Heim.
SRF News: Gibt es Indizien dafür, dass das eine oder andere AKW in den nächsten Jahren abgeschaltet wird?
Matthias Heim: Ja, die finanzielle Situation ist genauso ein Indiz. Von welchen Summen wir sprechen, zeigen zwei aktuelle Beispiele: Beznau I steht seit dem Frühling 2015 still. Diese Anpassungen und der Produktionsausfall kosten die Betreiberin Axpo mindestens 200 Millionen Franken. Und auch das Kernkraftwerk Leibstadt ist seit August 2016 vom Netz und wird es voraussichtlich bis Februar 2017 bleiben. Leibstadt ist das leistungsstärkste Werk der Schweiz, entsprechend gross sind hier die Ausfälle: Eine Million Franken pro Tag. Der gut halbjährige Unterbruch kostet somit mindestens rund 200 Millionen.
Wann ist eigentlich der Punkt erreicht, an dem es sich nicht mehr lohnt und man als Betreiberin mehr reinsteckt als finanziell herausholt?
Eine solche Schmerzgrenze ist gewissermassen das Betriebsgeheimnis der Kernkraftwerkbetreiber, aber sie haben bestimmt eine. In der Branche setzt man auf einen pragmatischen Weg. Bei Beznau I stellt sich die Frage nach der finanziellen Tragbarkeit am ehesten. Die Betreiberin Axpo bestätigt zwar auf Anfrage, Beznau geht wieder ans Netz. Allerdings ist derzeit die Aufsichtsbehörde daran, die Unterlagen über die technischen Probleme im Werk zu prüfen. Erst dann weiss Axpo, wie und ab wann Beznau allenfalls wieder Strom produzieren darf, oder ob sich dann weitere Nachrüstungen nicht mehr rechnen.
Wieso legen die Betreiberfirmen dann die Meiler nicht einfach still, statt sie für so lange Zeit abzustellen, um sie zu warten?
Das hat mit dem Prozess zu tun, der nötig ist, um ein Kernkraftwerk endgültig abzuschalten. So ein Prozess braucht einige Jahre Vorlauf, um das Abschalten vorzubereiten und den Rückbau zu planen. Und in dieser Zeit kann ein Kernkraftwerk noch Strom produzieren und sorgt so auch noch für etwas Einnahmen. Würde ein Werk sofort abgestellt, dann wäre der Vorlauf genau gleich, aber in der Zwischenzeit verdient das Unternehmen kein Geld mehr. Das Beispiel der BKW zeigt das relativ gut. Das Unternehmen hat 2013 beschlossen ihr Werk in Mühleberg 2019 still zu legen. Bis dahin fliesst aber noch etwas Geld in die Kasse des Berner Energiekonzerns.
Politisch ist von rechts die Forderung zu hören: Es sei jetzt Zeit dafür, um ein neues AKW zu bauen – wäre das eine Alternative zu den alten, teuren Atommeilern?
Das halte ich im Moment für praktisch ausgeschlossen, aus mehreren Gründen: Zuerst müsste sich ein Investor finden, der in ein neues Kernkraftwerk investiert und hier sprechen wir von Milliarden. Dass er allerdings diese Investitionen bei den aktuell so tiefen Strompreisen wieder reinholen kann, ist derzeit unwahrscheinlich. Zweitens: Ein neues Kernkraftwerk zu bauen, ist auch ein technisches Wagnis. Finnland etwa macht derzeit diese unliebsame Erfahrung. 2003 sprach man dort von Kosten von drei Milliarden Euro, inzwischen spricht man von neun Milliarden. Hinzu kommen auch zeitliche Verzögerungen. Vor 2018 wird dort kein Strom produziert. Und dann drittens: Der politische Widerstand in der Schweiz gegen eine neues Kernkraftwerk wäre sicherlich gross. Da reicht ein Blick zurück. Kaiseraugst ist da ein Stichwort. Wie die Situation dann in einigen Jahrzehnten ausschaut, ist wiederum eine andere Frage. Das muss dann eine andere Generation entscheiden.