Mit 55 Frauen und nur 25 Männern hat das Berner Stadtparlament vor vier Jahren einen Landesrekord geschrieben. Drängende Themen wie Lohnungleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und eine bessere Kinderbetreuung hatten damals Tausende auf die Strasse getrieben und für die beispiellose Frauenquote gesorgt .
Heute, kurz vor Ende der Amtszeit, ist der Frauenanteil im ehemals weiblichsten Parlament des Landes auf gut die Hälfte gesunken. 25 Stadtparlamentarierinnen sind innert knapp vier Jahren ausgetreten. Einige Männer auch. Das Berner Parlament erneuert sich jeweils innerhalb einer Legislatur ungefähr zur Hälfte. Das ist normal.
Wir haben ein Problem mit der Vereinbarkeit von Stadtratsmandat und den anderen Lebensbereichen.
Wo viele Frauen sind, treten auch viele Frauen aus, und oft rutscht ein Ersatzmann nach. Was bedeute, dass auch der Frauenanteil abgenommen habe: von ehemals 70 Prozent auf noch etwas über 50 Prozent, so Stadtratspräsidentin Valentina Achermann.
Erklärt sich der Frauenschwund also mathematisch, logisch? Auch, aber nicht nur, sagt Valentina Achermann: «Wir haben ein Problem mit der Vereinbarkeit von Stadtratsmandat und anderen Lebensbereichen.» Milizpolitik gebe viel zu tun, beanspruche viel Zeit, die Entschädigung sei gering.
Immer noch übernehmen vermehrt Frauen die Verantwortung für die Familie und werden vielleicht auch dazu gedrängt.
Vereinbarkeitsfragen würden nicht nur junge Frauen betreffen und seien etwas sehr Schweizerisches, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bern, Regula Bühlmann: «Immer noch übernehmen vermehrt Frauen die Verantwortung für die Familie und werden vielleicht auch dazu gedrängt.» Dies wirke sich auf die Fluktuation im Stadtrat aus.
Zum Beispiel Sara Schmid, die 2020 gewählt wurde und diesen Februar nach drei Jahren zurücktrat. Sie arbeitet als Co-Geschäftsführerin beim Dachverband Schweizer Jugendparlamente. Zu vieles sei zu kurz gekommen. Das hohe Arbeitspensum sei mit dem aufwendigen politischen Amt nicht in Balance zu halten.
Nicht mehr zeitgemäss?
Aber sie habe auch erkannt, dass ihr eine andere Form des Engagements mehr entspreche, sagt Sara Schmid. Sie findet es legitim, politisches Engagement nur für eine begrenzte Zeit zu leisten. Um junge Mütter wie sie – aber auch Väter – in der der Politik zu halten, müsse die Vereinbarkeit aller Lebensbereiche das besser werden. Das Milizsystem sei halt noch sehr stark geprägt von früheren Familienmodellen.
Strukturelle Verbesserungen des Parlamentsbetriebs hätten auch einer früheren Ratskollegin von Sara Schmid vielleicht geholfen. Während des Mutterschaftsurlaubs durfte sie sich nicht vertreten lassen. Sie verlor ihre politische Stimme. Während der zweiten Schwangerschaft trat sie zurück.
Stellvertretungen wären gut für bessere Vereinbarkeit. Bessere Kinderbetreuung auch. Mehr Geld auch, ergänzt Stadtratspräsidentin Valentina Achermann: «Die Entschädigung ist bei hohem Aufwand relativ gering.» Auch der zweiwöchige Sitzungsrhythmus sei zu überdenken. Allenfalls sind Sessionen wie auf kantonaler und nationaler Ebene auch eine Option.»
Was für die einen praktisch sei, diene anderen nicht, gibt Regula Bühlmann zu bedenken. Welche Sitzungszeit besser passe, sei bei Männern und Frauen auch individuell. So individuell wie die Rücktrittsgründe. Auch sie trat ehemals aus dem Stadtrat zurück – weil sie städtische Gleichstellungsbeauftragte wurde. Fünf andere Stadträtinnen wurden zudem in dieser Legislatur ins Kantonsparlament gewählt und trugen im Stadtparlament zum Frauenschwund bei.