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Nach neunstündiger Debatte Nationalrat lehnt Selbstbestimmungsinitiative ab

  • Nach dem Ständerat hat sich auch der Nationalrat gegen die Selbstbestimmungsinitiative ausgesprochen.
  • Um 23.35 Uhr – nach einer über neun Stunden langen Debatte – hat die Grosse Kammer die Initiative mit 127 zu 67 Stimmen verworfen.
  • Ausser der SVP stellten sich alle Fraktionen gegen die Initiative.

Blick in den Nationalratssaal
Legende: Bloss eine Minderheit im Nationalrat unterstützte die Initiative der SVP. Keystone

Die Initianten verlangen in ihrem Begehren, dass Volksinitiativen umgesetzt werden, auch wenn sie gegen internationales Recht verstossen. Sie wollen, dass die Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht immer Vorrang hat – unter dem Vorbehalt weniger zwingender Bestimmungen.

Völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, müsste die Schweiz neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Zudem wären für das Bundesgericht nur noch jene Verträge massgebend, die dem Referendum unterstanden.

Gegner befürchten Willkürherrschaft der Mehrheit

Aus Sicht der Gegnerinnen und Gegner geriete damit das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat aus den Fugen. Ein starker Rechtsstaat sei die Voraussetzung für eine starke Demokratie, lautete der Tenor. Die Initianten wollten die Grundrechte ausser Kraft setzen. Damit drohe eine Willkürherrschaft der Mehrheit.

Ein Ja zur Initiative hätte die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zur Folge, hiess es. Diese aber gebe den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich notfalls gegen den Staat zu wehren. Viele Rednerinnen und Redner warnten davor, dass die Schweiz nicht mehr als verlässlicher Vertragspartner gälte, wenn sie sich zum Vertragsbruch ermächtigen würde.

SVP warnt vor Entmachtung des Volks

Die SVP-Vertreter warnten ihrerseits vor einer schleichenden Entmachtung des Volkes. Laut Magdalena Martullo (SVP/GR) droht der Untergang der Schweiz. Toni Brunner (SVP/SG) stellte fest, das Volk habe zwar nicht immer Recht, aber die Mehrheit bestimme. Mehrere Redner zählten missliebige Urteile der Strassburger Richter auf, etwa zu Ausschaffungen.

SVP-Nationalrat Roger Köppel verfolgt die Debatte
Legende: Die SVP sieht eine schleichende Entmachtung des Volks. Keystone

Bis 2012 habe faktisch der Vorrang des Landesrechts gegolten, argumentierten die SVP-Vertreter. Nun wende das Bundesgericht die Schubert-Praxis nicht mehr an. Diese besagt, dass Völkerrecht grundsätzlich dem Landesrecht vorgeht – ausser das Parlament erlässt bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz. Internationale Menschenrechtsgarantien gehen dem Landesrecht allerdings vor.

Sommaruga: «Unnötiges Korsett»

Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte in Abrede, dass das Bundesgericht die Schubert-Praxis seit 2012 nicht mehr anwende. «Ich weiss nicht, wie Sie darauf kommen», sagte sie.

Mit dieser Praxis habe das Bundesgericht einen Weg gefunden, wie es im Einzelfall vom Völkerrecht abweichen könne. Die Initiative verlange nun, dass das Völkerrecht im Falle eines Konfliktes mit Landesrecht nicht mehr zähle.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga
Legende: Bundesrätin Sommaruga betonte, dass das Bundesgericht die Schubert-Praxis nach wie vor anwende. Keystone

«Damit zwängen wir uns ohne Not in ein Korsett, ohne das wir bis heute bestens gefahren sind», sagte Sommaruga. Die Kündigung des Vertrages sei vielleicht in einem Fall die beste Lösung, in einem anderen Fall gebe es möglicherweise bessere. Die Selbstbestimmungsinitiative kenne nur schwarz oder weiss. Sie sei das Gegenteil von dem, was die Schweiz ausmache. Ausserdem sei die Initiative widersprüchlich formuliert. Sie kläre nicht, was sie zu klären vorgebe.

Redemarathon über neun Stunden

Insgesamt wollten sich 83 Ratsmitglieder zum Thema äussern, wobei manche am Ende verzichteten. Die Debatte, die in der ersten Sessionswoche begonnen hatte, zog sich auch wegen der vielen Fragen in die Länge. In der ersten Runde stellten sich SVP-Vertreter vor allem gegenseitig Fragen, was der Partei den Vorwurf des Filibusters eintrug.

Die SP kritisierte, der SVP gehe es einzig darum, die Abstimmung über die Initiative zu verzögern, damit diese möglichst nahe an den Wahlen 2019 stattfinde.

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