Wenn jemand den Freisinn im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert, dann ist es Karin Keller-Sutter. In einer Sendung auf Radio SRF 2 hat sie Ende 2016 die Grundsätze umrissen, von denen sie sich leiten lässt: «Es gibt jeweils drei Handlungsachsen, die für mich wichtig sind und woran ich eine Frage messe: Das ist privat vor Staat, Erwirtschaften vor Verteilen und Freiheit vor Gleichheit.»
Die Freiheit des Einzelnen als oberstes Prinzip, der Staat, der nur dort reguliert und unterstützt, wo es absolut nötig ist. Das ist das Credo der St. Galler Ständerätin, die beste Chancen hat, diese Haltung schon bald in den Bundesrat zu tragen. Die Wirtschaft soll sich möglichst uneingeschränkt entfalten dürfen, damit der Wohlstand von allen gemehrt werden kann.
Für mich bringt sie alle nötigen Voraussetzungen mit für eine Bundesratskandidatur.
Was der abtretende Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann jahrelang gepredigt hat, ist auch die tiefe Überzeugung der potentiellen Nachfolgerin aus der Ostschweiz. Nämlich: «Dass eine Wirtschaft, die sich eigenverantwortlich und so frei wie möglich bewegen kann, auch mehr Wohlstand schafft, als wenn sie eingeengt wird.»
Anderes Amt, anderes mediales Image
Diesen Liberalismus nach freisinnigem Vorbild lebt Keller-Sutter offenbar so erfolgreich, dass man heute im Bundeshaus lange suchen muss, wenn man kritische Stimmen über sie finden will.
Vom Image der Law-and-Order-Frau, welches ihr von den Medien in der Zeit als Sicherheits- und Justizdirektorin des Kantons St. Gallen angeklebt worden ist, hat sie sich erfolgreich emanzipiert, indem sie sich geschickt auf andere Themen konzentriert und den Brückenschlag über politische Grenzen hinweg sucht. Wie zuletzt beim Paket aus Unternehmenssteuer- und AHV-Reform, bei dem sie prägend gewesen ist. Ihre gewinnende Ausstrahlung, ihre Mediengewandtheit und perfekte Mehrsprachigkeit haben ihr dabei geholfen.
Selbst politische Konkurrenten wie SP-Ständerat Paul Rechsteiner sind des Lobes voll. Und auch bei den SP-Frauen kommt die Ostschweizerin überaus gut an. Die Thurgauer Nationalrätin Edith Graf-Litscher kommt gar ins Schwärmen: «Ich kenne Frau Keller-Sutter schon seit vielen Jahren und schätze sie als sehr kompetente, versierte Politikerin. Für mich bringt sie alle nötigen Voraussetzungen mit für eine Bundesratskandidatur.»
Kritik an Schulterschluss mit Rechsteiner
Das Lob von links allerdings weckt den Argwohn bei einzelnen Vertretern der rechten Ratsseite, die in ihr noch vor ein paar Jahren eine Gesinnungsgenossin von SVP-Übervater Christoph Blocher gesehen haben. SVP-Nationalrat Roland Büchel, wie Keller-Sutter auch er Vertreter des Kantons St. Gallen, hält kurz und knapp fest: «Die SVP-Mitglieder, die mich kontaktieren, die schätzen es nicht besonders, dass sie jetzt fast als Dreamteam mit dem ultralinken Gewerkschafter Paul Rechsteiner auftritt.»
Ganz ohne Überzeugungsarbeit wird der FDP-Favoritin der Einzug in den Bundesrat also nicht gelingen, sollte sie in den nächsten Tagen tatsächlich ihre offizielle Kandidatur bekanntgeben. Verbiegen lassen wird sich die Vollblutpolitikerin dabei aber nicht. Das hat sie schon vor acht Jahren bewiesen, als sie bereits einmal für die Landesregierung kandidierte, gegen den internen Konkurrenten Schneider-Ammann aber unterlag.
Ich habe meine klaren Positionen, ich habe meine Meinung, aber ich bin auch sehr lösungsorientiert.
Vor der Übernahme des Ständeratspräsidiums vor einem Jahr hat sich Keller-Sutter selber so charakterisiert: «Ich habe meine klaren Positionen, ich habe meine Meinung, aber ich bin auch sehr lösungsorientiert und bin auch jemand, der immer versucht, eine Brücke zu bauen und letztlich eine Lösung für eine Sachfrage zu finden.» Womit die St. Gallerin dem Anforderungsprofil für eine künftige Bundesrätin in geradezu idealer Weise entspricht.