Seit Beginn der Pandemie stehen vor allem die Notfall- und die Intensivpflege in den Spitälern im Fokus. Die Arbeit dieser Fachkräfte war schon zuvor belastend, nun erschweren die Corona-Patientinnen und -Patienten diese zusätzlich.
«Man muss wissen, dass sie zwischen vier- und neunmal so viel Platzbedarf haben wie andere Patienten. Unsere Ressourcen werden dadurch massiv geschmälert», führt Stephan Jakob, Leiter der Intensivstation am Berner Inselspital, aus.
Mehr Platz brauchen sie, weil sie überdurchschnittlich lang auf der Intensivstation liegen und mehr Betreuung benötigen. «75 Prozent der Dienste, die vom Personal geleistet werden, sind Spät-, Nacht- und Wochenenddienste.»
Was seit eineinhalb Jahren in den Medien immer wieder Thema ist, hält nun auch der Nationale Versorgungsbericht fest. Der Arbeitsmarkt des Gesundheitspersonals ist angespannt. Offene Stellen können in den meisten Kantonen nicht rasch besetzt werden, temporäre Angestellte oder solche mit ausländischem Diplom springen ein.
Lukas Engelberger, Präsident der Kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz, gewinnt der aktuellen Situation dennoch Positives ab: «Wir haben eine sehr hohe Belastung in den Intensivstationen. Aber aufs Ganze gesehen sehen wir jetzt etwa nicht, dass die Berufsleute dem Gesundheitswesen den Rücken kehren würden.»
Wir sehen nicht, dass die Berufsleute dem Gesundheitswesen den Rücken kehren würden.
Doch der Bericht enthält hierzu keine aktuellen Zahlen. Engelberger verweist darauf, dass die Ausbildungszahlen übers Ganze gesehen mit der Pandemie nicht zurückgegangen seien.
Der Bericht attestiert Kantonen und Institutionen, in den letzten Jahren deutlich mehr Pflege- und Gesundheitsfachleute ausgebildet zu haben. Doch auch wenn diese positive Entwicklung weiterläuft, reicht das nicht für die Zukunft – gemäss Bericht fehlen bis in etwa 10 Jahren rund 70'000 Pflegefachleute im Schweizer Gesundheitswesen – insbesondere in Alters- und Pflegeheimen.
Verschiedene Ansätze für bessere Bedingungen
Deshalb braucht es laut dem Bericht auf allen Stufen zusätzliche Anstrengungen – bei der Ausbildung, aber auch bei den Arbeitsbedingungen. «Wir versuchen, die Arbeitsbedingungen dadurch zu stärken, dass mehr Berufsleute den Einstieg in die Pflege finden und mitarbeiten können, damit der Druck nicht mehr so gross ist», so Engelberger.
Anne-Geneviève Bütikofer, Direktorin der Spitäler Schweiz, nennt dafür verschiedene Möglichkeiten: Monitoring-Modelle, Begleitung von neuen Mitarbeitenden oder grundsätzliche Arbeitsbedingungen wie Lohn oder Arbeitszeiten. Auch Quereinsteigerinnen und -einsteiger sollen vermehrt für Gesundheitsberufe gewonnen werden. Aus- und Weiterbildungen sollen verkürzt und wie geplant von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden.
Die positiven Ausbildungszahlen zu Beginn der Ausbildung sind kein Garant dafür, dass diese Menschen die Ausbildung letztlich abschliessen und über Jahre hinweg im Pflegeberuf tätig sein werden.
Beim Verband der Pflegefachpersonen begrüsst Geschäftsführerin Yvonne Ribi in einer ersten Reaktion die Schlussfolgerungen des Berichts, verweist aber auf ein weiteres Problem: Mehr Ausbildung garantiere noch nicht, dass das Personal dem Beruf auch erhalten bleibe. «Die positiven Ausbildungszahlen zu Beginn der Ausbildung sind kein Garant dafür, dass diese Menschen die Ausbildung letztlich abschliessen und über Jahre hinweg im Pflegeberuf tätig sein werden.»
Die Forderungen sind längst auch in der Politik angekommen. Ende November wird das Schweizer Stimmvolk über die Pflegeinitiative abstimmen.