Was ist der Unterschied zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Fluss? Erstere besitzt Rechtspersönlichkeit, sie ist eine juristische Person. Wenn jemand gegen ihre Interessen verstösst, kann sie vor Gericht gehen. Nicht so der Fluss. Das soll sich ändern. Zumindest für die Reuss, die von den Alpen über den Vierwaldstättersee bis in den Kanton Aargau fliesst. Was es mit dieser Idee auf sich hat, erklärt Gerichtskorrespondentin Sibilla Bondolfi.
Worum geht es?
Kürzlich wurde ein Verein gegründet, der mit einer Volksinitiative in die Luzerner Verfassung schreiben will, dass die Reuss eine eigene Rechtspersönlichkeit hat. Sie soll Grundrechte bekommen und wie ein Mensch vor Gericht gehen können, wenn ihre Rechte verletzt werden. Wenn jemand Gift in den Fluss leitet, würde laut Initiant Markus Schärli sofort das Organ des Flusses aktiv und würde vor Gericht zum Beispiel Schadenersatz fordern. Das sei abschreckender als eine Busse, wie sie heute für eine Gewässerverschmutzung verhängt werden kann.
Warum die Reuss?
Der Verein will erst mal klein anfangen und die Reuss ist besonders von Industrie, Landwirtschaft und Verkehr belastet. Es gab aber auch auf nationaler Ebene schon ähnliche Vorschläge. Zum Beispiel schlug die Parlamentarierin Lisa Mazzone in einem Postulat vor, den Gletschern Rechtspersönlichkeit zu verleihen.
Ist die Schweiz hier Vorreiterin?
In anderen Ländern ist man schon weiter: 2017 trat in Neuseeland ein Gesetz in Kraft, das den Whanganui-Fluss zu einer juristischen Person erklärt, ähnlich wie eine Stiftung oder ein Verein. Auch dem Berg Taranaki wurde eine Rechtspersönlichkeit zugesprochen.
In Spanien hat das Parlament der Salzwasserlagune Mar Menor an der Mittelmeerküste eine eigene Rechtspersönlichkeit mit einklagbaren Rechten gegeben. Jeder Bürger und jede Bürgerin Spaniens kann jetzt für die Lagune vor Gericht gehen.
Was spricht gegen die Idee?
In den Rechtswissenschaften gibt es kritische Stimmen. Der Natur Grundrechte zu geben, sei reine Symbolik. Es müsste trotzdem ein Mensch die Rechte für den Fluss oder den Berg geltend machen, mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit sei nicht viel gewonnen – es sei nicht automatisch einfacher, die Rechte dann auch durchzusetzen.