In einer Aktion gegen die kalabrische Mafia 'Ndrangheta haben die Schweiz und Italien am Dienstag 75 Personen festgenommen und Waren für 170 Millionen Euro beschlagnahmt. Es gab Hausdurchsuchungen in vier Kantonen. Das Bewusstsein für das seit Jahrzehnten bestehende Phänomen müsse noch geschärft werden, findet die Soziologin Zora Hauser.
SRF News: Ist die Aktion gegen Drogenhandel und Geldwäscherei ein grosser Erfolg gegen die Mafia?
Zora Hauser: Auf jeden Fall. Aber eigentlich deshalb, weil die Schweiz das Signal gibt, dass sie aufmerksam ist und bewusst gegen die 'Ndrangheta vorgeht. Deren Ableger sind in der Schweiz seit 40 Jahren aktiv. Da muss man ein bisschen mehr machen und die Aktion langfristig weiterführen. Ein erster Schritt ist erfolgt. In den nächsten sechs bis zwölf Monaten wird sich zeigen, was die Aktion für Folgen hat. Die Zusammenarbeit mit Italien hat sich sehr verbessert, was ein gutes Zeichen ist.
Gegen die 'Ndrangheta muss man ein bisschen mehr machen und die Aktion langfristig weiterführen.
Der Schmuggel von Falschgeld in die Schweiz ist ein Vorwurf neben Drogenhandel und Korruption. Sind das die Aktivitäten der 'Ndrangheta in der Schweiz?
Ja. Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel sind übliche Geschäft der 'Ndrangheta in Italien und im Ausland. Die Vorgehensweise stimmt: Eine sehr enge Beziehung zu Süditalien, aber auch eine gewisse Autonomie im täglichen Geschäft in der Schweiz.
Was sind die Gründe, dass die 'Ndrangheta in den letzten Jahren in der Schweiz vermehrt Fuss gefasst hat?
Die 'Ndrangheta ist weltweit in 30 bis 40 Ländern aktiv. In Kanada und Australien ebenso wie der Schweiz, Deutschland, Belgien und Holland. Dass die Organisation in der Schweiz erfolgreich ist, hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist, dass die Schweizer Behörden für eine gewisse Zeit nicht aufmerksam waren und vielleicht nicht genug unternommen haben, um die Organisation zu bekämpfen. Das soll jetzt ändern.
Die Schweizer Behörden waren für eine gewisse Zeit nicht aufmerksam und haben vielleicht nicht genug unternommen.
Wie gefährlich ist die 'Ndrangheta in der Schweiz?
Gefährlich ist sie, weil sie unsichtbar agiert. Die 'Ndrangheta kann sich auf lokaler Ebene einnisten, entwickeln und mit der Zeit immer schweizerischer werden. Das ist wohl das Gefährlichste. Also nicht unbedingt der Kokainhandel oder die immer nur als letztes Mittel angewendete Gewalt.
Haben sie Beispiele für die Geschäfte der 'Ndrangheta in der Schweiz?
Beim Kokain- und Waffenhandel haben die Behörden wohl ein klares Bild. Schwieriger wird es bei Geldwäsche und Investitionen. Man denkt dabei schnell an komplizierte Geldwäsche-Operationen auf dem Finanzmarkt. Wir wissen aber, dass die 'Ndrangheta eine eher einfachere Geldwäsche betreibt. Dazu gehören Investitionen in Gaststätten, Geschäften und Immobilien. Oft geht es um sehr erfolgreiche Geschäfte. Es gibt eine graue Zone mit Unterstützern, die es der Mafia ermöglichen, die illegalen Geschäfte unauffällig zu betreiben. Dazu gehören Buchhalter, Steuerberater, Notare und Rechtsanwälte.
Es gibt eine graue Zone mit Unterstützern: Buchhalter, Steuerberater, Notare und Rechtsanwälte.
Haben sich Schweizer Behörden deshalb lange schwergetan, gegen die 'Ndrangheta vorzugehen?
Das ist auf jeden Fall ein Grund. Wenn das Bewusstsein in der Gesellschaft und in der Politik fehlt, dass es sich um ein kritisches Phänomen handelt, wird nicht ermittelt. Die gestrige Operation ist deshalb so wichtig. Es gibt in der Schweiz seit Jahren ein Problem und das heisst 'Ndrangheta. Nur wenn man das Phänomen versteht, kann man effektiv dagegen vorgehen. Für mich als Forscherin ist vor allem die Zusammenarbeit mit den Behörden schwierig, um an die entsprechenden Daten zu kommen.
Das Gespräch führte Teresa Delgado.