Sein Kind schlagen, ihm physische Gewalt zufügen – in der Schweiz ist längst klar: Das geht nicht. Aber die subtilere Form von Gewalt, die psychische Gewalt, ist immer noch weit verbreitet. Jedes fünfte Kind in der Schweiz erfährt regelmässig psychische Gewalt, und jedes dritte war bereits Zeuge psychischer Gewalt zwischen Eltern.
Von psychischer Gewalt werde gesprochen, wenn Eltern absichtlich Macht und Einfluss ausüben und bestimmte Verhaltensweisen zeigen, die nicht zum Verhalten des Kindes und zur Situation passen. Heisst, das Kind erlebt, wie es willentlich mit Worten verletzt wird, oder wie sich die Eltern gegenseitig mit Absicht verletzen.
Studie zu psychischer Gewalt
Dies zeigen die neusten Zahlen, erhoben von der Universität Freiburg im Auftrag der Stiftung Kinderschutz Schweiz. 1264 Eltern aus der ganzen Schweiz wurden dazu befragt.
Besorgniserregende Zunahme
Die gute Nachricht: Der Anteil der Eltern, die angeben, niemals psychische Gewalt anzuwenden, ist im Vergleich zu einer früheren Befragung gestiegen. Die schlechte Nachricht: Auch angestiegen ist der Anteil jener Eltern, die angeben, regelmässig verletzende Worte zu benutzen.
Darüber ist Regula Bernhard Hug, die Leiterin der Geschäftsstelle von Kinderschutz Schweiz, besorgt: «Wir führen das auf die Coronazeit zurück, in der der Druck auf die Familien gestiegen ist. Wir haben uns damals Verhaltensmuster angeeignet, die wir nicht so schnell wieder loskriegen.»
Das Kind empfinde die Reaktion als persönlichen Angriff und fühle sich zurückgewiesen, wertlos und ausgeliefert. Kinder, die unter regelmässig angewendeter psychischer Gewalt litten, hätten ein stark erhöhtes Risiko für Depressionen, Lernstörungen, aggressives und gewalttätiges Verhalten oder Bindungsstörungen, teilte der Kinderschutz mit.
Forderung des Parlaments
Auch der Bundesrat toleriert keine Gewalt in der Erziehung. Ende August hiess es, der Grundsatz der gewaltfreien Erziehung müsse ausdrücklich im Zivilgesetzbuch verankert werden. Die Regierung meinte damit auch explizit psychische Gewalt und hat entsprechend eine Forderung des Parlaments unterstützt sowie am 13. September 2024 die Botschaft zuhanden des Parlaments verabschiedet.
Wir müssen mit Sensibilisierungskampagnen die Aufmerksamkeit darauf richten, was psychische Gewalt auslöst.
«Aber wir müssen weiter sensibilisieren, ein Gesetz allein funktioniert nicht!», sagt Regula Bernhard Hug heute dazu: «Das wissen wir aus unseren Nachbarländern. Wir müssen mit Sensibilisierungskampagnen die Aufmerksamkeit darauf richten, was psychische Gewalt auslöst.»
Und wenn es doch passiert? Dann hilft das berühmte Durchatmen, rät die Kinderschutz-Expertin. Aus unvermeidbaren Stresssituationen herausgehen, den Raum verlassen, das Kind dem anderen Elternteil übergeben, bis zehn zählen. «Manchmal reichen schon zwei Sekunden, damit wir nicht explodieren.»
Heisst: Kurz Distanz zum Konflikt nehmen, um dann wieder in die Beziehung zum Kind zu treten. Und dann darüber reden. Sich entschuldigen, zu seinen Fehlern stehen.