Das Peilgerät von Christian Willisch piepst. Der Wildtierbiologe steht auf einem Waldweg und hält die Antenne in die Höhe. Er ist auf der Suche nach dem Rothirsch Arvi, einem Stier. Laut den GPS-Daten hält sich Arvi in diesem Waldstück auf, südlich von Murgenthal AG.
Arvi gehört zu letzten Rothirschen des Forschungsprojekts, die noch immer ein Sendehalsband tragen. Bekommen hat er es vor einem Jahr von Christian Willisch und seinem Team von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen. Sie haben Arvi «besendert» – wie es im Fachjargon heisst.
Nun im Wald versucht Wildtierbiologe Willisch, Arvi zu sichten. Er will feststellen, ob es dem Hirsch gut geht und mit wem er unterwegs ist. Das Peilgerät von Christian Willisch piepst mittlerweile sehr laut. Arvi ist also nahe, so der Experte. «Er muss in dem Dickicht direkt vor uns sein. Und man sieht einfach gar nichts.»
Wie geht es dem Rothirsch im Mittelland? Wo hält er sich auf? Welche Wege nimmt er? Das Forschungsprojekt – ein Gemeinschaftsprojekt des Bundes, verschiedener Kantone und Hochschulen – will diese Fragen klären. Bald ist es abgeschlossen.
Hirsche können sich im Mittelland bewegen
«Arvi ist eines der spannendsten Tiere für uns», erzählt Projektleiter Christian Willisch. «Besendert wurde Arvi in Kestenholz im Kanton Solothurn, von da ist er weiter über Burgdorf im Kanton Bern ins Luzernische Entlebuch gewandert. Später ist er fast nach Lenzburg im Kanton Aargau gekommen.» In den letzten Wochen sei er nun im westlichen Aargau geblieben.
Hirsch Arvi zeigt exemplarisch, was das Forschungsteam über die Rothirsche im Mittelland herausgefunden hat: Die mehreren Dutzend Hirsche, die im Gebiet leben, können sich erstaunlich gut bewegen. Trotz Siedlungen, Strassen und Weidezäunen.
Barriere Autobahn A1
Die grosse Ausnahme bleibt die Autobahn A1: Sie ist nach wie vor eine Barriere für Hirsche – und einer der Gründe, warum es im Jura noch kaum Hirsche gibt.
Die gewonnenen Daten seien essenziell, ist Christian Willisch überzeugt. Denn sie helfen, das langfristige Ziel zu erreichen: «Die Populationen von den Voralpen über das Mittelland bis zum Jura sollen vernetzt werden.»
Gute Lebensbedingungen im Mittelland
Das Mittelland habe Vorteile für die Rothirsche, schätzt Christian Willisch ein – trotz der zahlreichen menschlichen Aktivitäten und den immer kleiner werdenden Freiflächen. «Das Mittelland ist insofern ein sehr geeigneter Lebensraum, als dass er ganzjährig relativ milde Witterungsbedingungen bietet.» Ganz im Gegensatz zu den Alpen zum Beispiel, wo grosse Schneemengen im Winter das Leben der Hirsche erschwerten.
Die Daten zeigen aber nicht nur die Korridore und Routen der Hirsche. Sie zeigen auch, wann sie sich wo aufhalten. Das Ergebnis: Die Mittelland-Hirsche sind nachtaktiv.
Rothirsche sind im Mittelland nachtaktiv
Es ist schon dunkel, als Rothirsch Arvi zum Grasen aus dem Wald kommt. Schliesslich müssen Hirsche zwischen acht und 20 Kilogramm Gras fressen, je nach Alter und Geschlecht.
Mit der Wärmebildkamera kann Wildtierbiologe Christian Willisch Arvi ihn später doch noch beobachten: Der Hirsch liegt zwischen den Bäumen, unweit des Waldrandes. Er ist nicht alleine, sondern zusammen mit zwei anderen Rothirschen. Und: Er scheint sein Abendessen wiederzukäuen.