Das Wichtigste in Kürze
- Moderne LKW der Euro-Norm 5 und 6 sind dank der Abgasbehandlung mit Adblue bezüglich Stickoxide verhältnismässig sauber.
- Eine «Kassensturz»-Stichprobe zeigt: Ausländische LKW stossen aber oft viel mehr Stickoxide aus als erlaubt.
- Der Verdacht: Die LKW-Betreiber manipulieren die Adblue-Anlagen mit sogenannten Emulatoren, um Kosten zu sparen.
- Verdeckte Aufnahmen belegen den billigen und einfachen Betrug bei osteuropäischen Lastwagen-Firmen.
- Kurz nach den Messungen von «Kassensturz» findet die Urner Polizei zum ersten Mal in der Schweiz in vier ausländischen LKW tatsächlich solche Emulatoren.
«Kassensturz» beauftragte den Umweltphysiker Denis Pöhler von der Universität Heidelberg, den Ausstoss von giftigen Stickoxiden (NOx) bei Lastwagen unter realen Bedingungen auf der Strasse zu messen. Die nicht repräsentative Stichprobe des Wissenschaftlers zeigt: Alle gemessenen Schweizer Lastwagen der Euro-Klassen 5 und 6 halten die gesetzlichen Vorgaben beim Ausstoss von Stickoxiden ein. Anders sieht es bei ausländischen Fahrzeugen aus: Bei mehr als einem Viertel der gemessenen LKW stellte Pöhler zum Teil massive Überschreitungen des NOx-Ausstosses fest – bis zum Fünffachen des maximal erlaubten Werts.
Der Verdacht: Ausländische LKW manipulieren AdBlue-Anlage
Warum die NOx-Werte derart viel höher sind, ist nicht klar. Ein Verdacht steht aber im Raum: Ausländische Lastwagenunternehmer manipulieren die Abgasanlagen ihrer Fahrzeuge und schaden so massiv der Umwelt. Und so funktioniert der Abgas-Betrug: Moderne Lastwagen der Euro-Klassen 5 und 6 verwenden in der Abgasreinigung einen Zusatz aus Harnstoff und Wasser mit dem Handelsnamen AdBlue. Die Mischung spaltet giftige Stickoxide in Wasser und harmlosen Stickstoff auf. So kann der Stickoxid-Ausstoss eines LKW um bis zu 90 Prozent gesenkt werden.
Billige Geräte aus dem Internet umgehen Abgas-Reinigung
Um die Kosten für das Adblue zu sparen, umgehen Abgasbetrüger die Sicherheitssperren der Bordcomputer mit sogenannten Adblue-Emulatoren. Sie hebeln so die Abgasreinigung aus und verwandeln die ansonsten vergleichsweise sauber laufenden Lastwagen in Dreckschleudern der Euro-Klassen 0 oder 1. Solchermassen dreckige Lastwagen sind vermutlich europaweit unterwegs. Zum Schaden der Umwelt und der Allgemeinheit. Denn sie profitieren unrechtmässig von Rabatten bei den Schwerverkehrsabgaben.
Service:
Die «Kassensturz»-Stichprobe bestätigt eine breitere Studie Pöhlers mit Hunderten von gemessenen Lastwagen auf deutschen Strassen. Zudem machte ein ZDF-Kamerateam verdeckte Filmaufnahmen in Rumänien, die belegen, dass dortige Mechaniker den Einbau von Adblue-Emulatoren anbieten. Die Geräte sind für wenige Euros im Internet bestellbar. Der Einbau ist erstaunlich simpel. Youtube-Tutorials liefern Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Ein rumänischer Spediteur brüstet sich: «Ich habe alle meine 30 LKWs umgebaut. Das machen hier viele. Ich spare bis zu 2000 Euro pro Fahrzeug.»
Betrüger müssen kaum Sanktionen befürchten
Besonders ärgerlich ist: Die Abgasbetrüger müssen kaum befürchten, schnell geschnappt zu werden. Denn Schwerverkehrskontrollen sind vor allem auf sicherheitstechnische Aspekte ausgerichtet. Systematisch werden Fahrer, Fahrzeug, Ladung und Fahrtenschreiber auf Sicherheit im Strassenverehr geprüft.
Einem eventuellen Betrug mit Adblue-Emulator würden die Behörden erst auf konkrete Anzeichen hin nachgehen. Etwa einem Füllstand im Adblue-Tank, der nicht mit der entsprechenden Anzeige im Bordcomputer übereinstimmt. Oder augenfällige Basteleien am Kabelstrang des Lastwagens. Personen mit genügend krimineller Energie werden jedoch kaum so leicht zu entdeckende Hinweise auf Manipulation liefern.
Behörden reagieren auf bislang unbekannte Betrugsmasche
Die Ergebnisse der Recherchen von «Kassensturz» und «ZDF» schrecken auf. Das Phänomen eines möglicherweise breiten Betrugs bei den LKW-Abgasreinigungen waren bis vor kurzem auch den Behörden unbekannt.
Das Schwerverkehrszentrum am Gotthard bei Erstfeld hat auf die neue Betrugsmasche reagiert. Stefan Simmen, Chef des Zentrums, sagt, seine Leute würden in den kommenden Tagen mit Schulungen auf den aktuellen Stand der Erkenntnis gebracht, damit in Zukunft bei der polizeilichen Schwerverkehrskontrolle standardmässig auf Anzeichen von Adblue-Betrug geschaut werden könne. Und tatsächlich: Kurz nach den Messungen von «Kassensturz» findet die Urner Polizei zum ersten Mal in der Schweiz in vier ausländischen LKW solche Emulatoren.
Benno Schmid, Mediensprecher des Bundesamtes für Strassen (Astra), erklärt gegenüber «Kassensturz», man wolle sich zuerst mit eigenen Messungen über das Ausmass der vermuteten Abgasmanipulationen informieren und dann in Absprache mit Schwerverkehrskontrollzentren, Zoll und Bundesamt für Umwelt geeignete Massnahmen definieren.