Wer flüchten muss, hat vorher und währenddessen oft Dinge erlebt, die man nur schwer überwinden kann. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Gesundheit BAG leidet in der Schweiz über die Hälfte der Asylsuchenden und Flüchtlinge unter einer sogenannten Trauma-Folge-Störung.
Es gibt aber nicht genügend Therapieplätze. Der neu gegründete Verein Paxion will Abhilfe schaffen und Betroffene begleiten und beraten. Helfen sollen dabei Menschen mit Migrationshintergrund.
«Ich habe mir ein besseres Leben gewünscht»
Eine, die solche Beratungen durchführen möchte, ist Genet Ameha. Schwierig sei es gewesen, als sie vor neun Jahren in die Schweiz gekommen sei, erzählt sie. Damals war sie 21 Jahre alt. Aus frauenspezifischen Gründen sei sie aus Äthiopien geflüchtet. Zuerst wollten die Behörden nicht auf ihr Asylgesuch eintreten. Ameha lebte einige Jahre im Asylheim – und war ernüchtert.
«Ich bin hierhergekommen, weil ich mir ein besseres Leben gewünscht habe. Die Flucht war lang, und wenn man dann weggestossen wird, ist man enttäuscht», schildert Ameha ihre damaligen Gefühle.
Am schwierigsten sei für sie die fremde Mentalität gewesen, die Anonymität. In Äthiopien würde man sich bei Augenkontakt grüssen, auch wenn man sich nicht kenne. In der Schweiz sei das plötzlich anders gewesen.
Die Distanz war für mich am Anfang ein Schock.
«Wenn ich jemanden irgendwo getroffen habe, habe ich diese Person beim nächsten Mal gegrüsst. Diese hat dann oft befremdet reagiert. Diese Distanz war für mich am Anfang ein Schock», erinnert sich die junge Frau.
Eine Beraterin hätte ihr helfen können
Genet Ameha ging es immer schlechter. Sie erkannte sich nicht wieder. «Ich hatte jeden Tag Kopfschmerzen, was ich vorher nicht kannte. Ich hatte ohne Grund Bauch- und Rückenweh, lag manchmal den ganzen Tag im Bett und bin nicht rausgegangen», so Ameha.
Eine Beraterin hätte ihr damals helfen können, glaubt sie. Eine Frau, die ihre Sprache, aber auch die des neuen Landes gesprochen hätte. Die die alte und die neue Kultur versteht, die ihr aber auch einfach Tipps für den Alltag gegeben hätte.
Solche Hilfe möchte der Verein Paxion anbieten. Vereins-Gründerin ist die Bernerin Esther Oester, eine Ökonomin mit Erfahrung in Entwicklungszusammenarbeit. Sie glaubt, es brauche ein psychosoziales Beratungsangebot.
«Wir haben viele Therapeuten, die mit Dolmetschern arbeiten und sagen, sie betreuten manchmal Leute mit sozialen Problemen wie Lohn oder Wohnung», sagt Oester. Auf der anderen Seite gebe es die Asylorganisationen, deren Berater oftmals nicht genug Zeit hätten.
Modell aus Deutschland ist Vorbild
Für schwer traumatisierte Menschen gebe es Angebote, so Oester weiter, es fehle aber an Unterstützung und Begleitung für Leute, die nicht stark krank seien. Wer sein Leben im Griff habe, könne eher arbeiten und sei nicht so sehr vom Staat abhängig, sagt Oester.
Vorbild ist ein Modell aus Deutschland, wo Migranten ein Jahr lang weitergebildet werden, die einen Beruf im Gesundheits- oder Sozialbereich erlernt haben. Dann werden sie in der Flüchtlingsbetreuung eingesetzt. Das Bundesamt für Gesundheit würde solche Unterstützungen auch in der Schweiz begrüssen, sagt ein Mediensprecher.
Der Verein Paxion sucht nun Pilotkantone, die bei einem solchen Projekt mitziehen, und hofft auf Unterstützung vom Staatssekretariat für Migration. Dort heisst es auf Anfrage, man prüfe, ob es solche Projekte brauche.
Der Äthiopierin Genet Ameha geht es inzwischen gut. Sie hat einen B-Ausweis erhalten und kann in der Schweiz bleiben. Sie arbeitet als Dolmetscherin und in einem Asylzentrum.