Seit Samstag ist ein neues Mobilisierungsgesetz der Ukraine in Kraft. Es verlangt, dass sich alle wehrpflichtigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren bei der Armee registrieren lassen. Wer 25 Jahre alt ist, kann eingezogen werden – zwei Jahre früher als bisher.
Und wer ein ukrainisches Konsulat aufsucht, um neue Ausweisdokumente zu beantragen, muss künftig nachweisen, dass er sich in das Wehrregister eingetragen hat. Ansonsten erhält er nur in der Ukraine einen neuen Pass, wo er eingezogen werden könnte.
In der Schweiz sind gemäss Staatssekretariat für Migration rund 11'000 ukrainische Männer von den neuen Regelungen betroffen.
Schutzsuchender oder Deserteur?
Einer dieser Männer ist Dimii. Er ist nahe Kiew aufgewachsen und mit seinen rund 50 Jahren im wehrpflichtigen Alter, gesundheitlich jedoch eingeschränkt. Er floh vor rund einem halben Jahr in die Schweiz. Der Schutzstatus S erlaubt ihm, hier zu bleiben. Dass seinem Land Soldaten fehlen, weiss Dimii.
Nichts würde sich ändern. Aber die Hälfte von uns wäre tot.
Dass er in Sicherheit ist, während andere an der Front sind, sei nicht fair. «Aber würden alle 11’000 Männer zurück in die Ukraine gehen, würde sich nichts ändern. Nur – die Hälfte von uns wäre tot.» Dimiis gesundheitliche Einschränkungen hätten ihn bis jetzt vor einer Einberufung bewahrt. «Aber nun habe ich aus der Ukraine erfahren, dass auch ich in den Kampf geschickt werden könnte», so Dimii.
Für Pascal Schmid, Asylchef der SVP, wäre Dimii wohl kein Schutzsuchender, sondern ein Deserteur. «Der Schutzstatus S ist für Schutzbedürftige gedacht. Das sind nach meiner Perspektive Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten, nicht Männer, die wehrpflichtig und fahnenflüchtig sind, die einfach verschwinden, damit sie ihren Militärdienst nicht leisten müssen. » Die Schweiz müsse der Ukraine helfen, diese Männer zurückzuholen.
Diskussion um Rolle der Schweiz
Laut Marc Jost trägt die Schweiz hier keine Verantwortung. Jost ist von der EVP-Mitte-Fraktion und wie Schmid Mitglied der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats, die Migrationsthemen diskutiert. «Ich sehe die Verantwortung bei der Ukraine selbst, dass sie eine Sensibilisierungsarbeit macht und diese Personen erreicht», sagt Jost. Letztlich stehe es jedoch jedem Ukrainer frei, zu entscheiden, ob er bleiben oder kämpfen wolle.
Niemand kann gegen seinen Willen in den Krieg, vielleicht in den sicheren Tod, geschickt werden.
Mit der Hilfe der Schweiz in den Krieg? Niemals, meint Kommissionskollegin Nina Schläfli von der SP. «Für mich ist klar, dass hier niemand gegen seinen Willen in den Krieg, vielleicht in den sicheren Tod, geschickt werden kann.»
Auch Sasha Volkov, Vorstandsmitglied des Ukrainischen Vereins in der Schweiz, erachtet die Forderung der Schweizer Politik, dass wehrpflichtige Ukrainer in ihr Land zurückkehren sollen, als unangemessen. Erstens habe sich niemand in die Belange zwischen Bürgern der Ukraine und der Regierung einzumischen. Zweitens seien die verschärften Mobilisierungsgesetze eine Massnahme, die nicht für die Auslandsukrainer gedacht sei, sondern für die Inlandsukrainer – um den Soldaten daheim zu zeigen, dass für eine Art Gerechtigkeit gesorgt würde, so Volkov. Es handle sich um Symbolpolitik, die kaum neue Soldaten an die Front bringe.
Wer hier bleibt oder geht, trifft in einer schwierigen Situation eine höchst persönliche Entscheidung. Dimii, der in die Schweiz geflüchtet ist, hat sie getroffen: «Es ist gut, hier in Sicherheit zu sein.» Dennoch sei ihm unwohl dabei, denn in der Ukraine sterben Landsleute. Auch für ihn.
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