In der Schweiz gehe alles sehr langsam. Bis alle Regionen, alle Interessengruppen, der Ständerat, der Nationalrat und dann noch das Volk befragt sei, kämen die Lösungen der Politik manchmal spät, zu spät. Aussagen wie diese gehören in der Schweiz fast schon zum Volksmund.
«Notwendige Massnahmen»
Aber jetzt ist alles anders. Das Covid-19 Virus – ein Kleinstorganismus mit einem Durchmesser von 0.0001 mm – hat unser Lebenstempo gebremst, das Politik-Tempo aber in einer Art und Weise beschleunigt, dass sich alle im Land die Augen reiben. Auch Fachleute mussten ihre Lagebeurteilungen laufend korrigieren. Als der Bundesrat am 28. Februar die «besondere Lage» nach dem Epidemiegesetz ausrief, um sich zusätzlichen Handlungsspielraum zu verschaffen, sagte er gleichzeitig, von der nächsten Stufe, der «ausserordentliche Lage» sei man noch weit entfernt.
Das «weit» erwies sich als Frist von 17 Tagen. Der Bundesrat hat jetzt weitreichende Befugnisse – im Gesetz sind die Kompetenzen lapidar mit «er kann die notwendigen Massnahmen anordnen» umschrieben. Das heisst nichts weniger, als dass unsere Regierung im Moment tun und lassen darf, was auch immer sie für nötig hält, um die Seuche und ihre Folgen zu bekämpfen.
Einmalige Einmütigkeit
Jetzt sind nicht nur die Schulen geschlossen, der Kleiderladen und die Beiz um die Ecke zu, auch das Parlament brach seine Arbeit ab, der anstehende Abstimmungskampf ist abgesagt, der Urnengang verschoben. Und: Alle sind einverstanden. Demonstrativ stützen die Parlamentsparteien den Bundesrat in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Diese Einigkeit ist einmalig.
Sie unterstreicht diese «ausserordentlich Lage», die Ausnahmesituation. Der Schulterschluss über alle politischen Gräben hinweg ist gedacht als Zeichen, dass alle am gleichen Strick ziehen, dass es nicht Zeit ist für politischen Streit.
Staatsordnung bleibt in Kraft
Das heisst aber nicht, dass die Demokratie, unsere Staatsordnung ausser Kraft gesetzt oder gar gefährdet wäre. Der Bundesrat kann jetzt zwar sozusagen durchregieren. Aber, dass er das darf, sieht unsere Bundesverfassung für solche Ausnahmesituationen ausdrücklich vor. Und diese Bundesverfassung hat das Volk beschlossen, vor gut 20 Jahren.
Und festgelegt ist auch, dass dies ein Zustand auf Zeit sein muss. Die Notstands-Verordnungen, die der Bundesrat jetzt erlässt, müssen befristet sein – auf einige Wochen, einige Monate. Natürlich können sie geändert oder verlängert werden, aber es sind Gesetze auf Zeit – auch wenn niemand weiss, wie lange diese Zeit am Ende gewesen sein wird.
Parlament will mitreden
Darum ist es folgerichtig, dass das Parlament sich jetzt auch zu Wort meldet. Dass es dafür sorgen will, dass die Parlamentskommissionen wieder tagen. Und dass auch National- und Ständerat eine Möglichkeit finden, sich wieder zu versammeln.
Das Parlament will sich äussern, will mitreden, auch wenn seine Macht im Moment eng begrenzt ist. Die Volksvertreterinnen und Volksvertreter müssen auch jetzt der Regierung auf die Finger schauen und sie kritisieren können. Denn sie müssen vorbereitet sein, wenn die Zeit der Einigkeit vorbei und jene für die politische Auseinandersetzung wieder gekommen ist – dann, wenn das Tempo in der Schweizer Politik wieder normal ist.