Wildtiere wandern nicht aus Neugier, sondern um sich zu vermehren und so ihre genetische Vielfalt zu erhalten. Das funktioniert aber seit dem Bau der Autobahnen in der Schweiz nicht mehr: Das Wild staut sich, ohne vom Schwarzwald via Jura in Richtung Voralpen gelangen zu können. Die Autobahnen mit ihren Wildschutzzäunen sind im Weg.
Neue Übergänge werden zwar seit 20 Jahren erstellt, Tiergruppen sollen dank ihnen nicht isoliert und ihre Inzucht reduziert werden. Noch sind aber nicht alle nötigen Korridore gebaut oder saniert.
Neuer Übergang über A1 funktioniert
Ist eine neue Wildtierbrücke gebaut, müssen die Tiere sie erst einmal finden. Seit 2020 ist die wichtige Wildtierquerung zwischen Gränichen AG und Suhr AG über die Autobahn A1 offen. Ein 50 Meter breiter und 36 Meter langer Übergang, begrünt, ohne Beleuchtung, Kostenpunkt 14 Millionen Franken. Und erste Beobachtungen des Kantons zeigen: Die Wildtiere nutzen den Übergang.
Wildtierübergang A1 bei Gränichen
Mindestens 80'000 Fahrzeuge sind täglich auf den Abschnitten der A1 unterwegs, eine Querung ist für Wildtiere undenkbar – zu laut, zu gefährlich. Geteerte Brücken, die für Autos oder Menschen gedacht sind, nutzen die Wildtiere ungern. Es braucht tiergerechte, bepflanzte Übergänge, die aussehen wie der vertraute Wald oder ein Naturschutzgebiet, nicht wie eine Strasse.
Odyssee für Reh und Wildsau
Wenn Reh oder Wildschwein die neue Brücke über die neue A1 gefunden haben, sei ihre Odyssee noch länger nicht zu Ende, weiss Wildtierbiologin Cristina Boschi. Sie ist Mandatsträgerin des Kantons Aargau für die Sanierung von Wildtierkorridoren.
Sie kennt die Hürden für die Tiere: Kantonsstrassen ohne Sträucher, Bahnlinien wie jene vier Bahnspuren zwischen Aarau und Lenzburg. Die Landschaft sei noch nicht durchgängig, sagt sie. «Es gibt zwei Bahn-Unterführungen, die erweitert wurden. Eine ist nur für Wildtiere und wurde für Menschen gesperrt». Die Geleise zu queren wäre einfacher, aber das getrauen sich die Tiere nicht. Die hohe Zugfrequenz halte die Rehe davon ab, sagt Boschi.
Getraut sich ein Reh oder eine Wildsau dennoch, die Bahnlinie zu queren oder die Unterführung zu nutzen, ist der Hindernislauf noch nicht vorbei. Der Autobahnzubringer Aarau-Hunzenschwil ist die letzte Hürde auf dem Weg in Richtung Voralpen. Die vierspurige Strasse ist nicht passierbar.
Es ist ein Engpass in der Landschaft.
Ein Projekt wird vom Bundesamt für Strassen momentan ausgearbeitet. «Es ist ein Engpass in der Landschaft. Wir müssen diesen möglichst so sanieren, dass die Wildtiere auch durchgehen», so Biologin Boschi. Die Planung und Umsetzung solcher Projekte dauert Jahre. Erst in den nächsten 10 bis 20 Jahren seien alle wichtigen Übergänge fertig, schätzt die Wildtierbiologin. Eigentlich wollte der Bund längst fertig sein.
Der Bund arbeitet seit 2003 an der Sanierung der Wildtierkorridore. 47 der insgesamt 304 überregionalen Wildtierkorridore sind unterbrochen. Erst wenn Wildtiere ohne Hindernisse Bahngeleise unterqueren und den Autobahnzubringer überqueren können, können sie frei zirkulieren und so die genetische Vielfalt ihrer Art sicherstellen. Bis das «Mehrgenerationen-Projekt», wie die Wildtierbiologin im Aargau es nennt, fertig ist, müssen die Tiere warten – auf die Planerinnen und Planer, Bauherrinnen und Ingenieure.