Der Krieg in der Ukraine bringt alte Gewissheiten ins Wanken. Das zeigt die jüngste Nachbefragung der Militärakademie (Milak) an der ETH, die Anfang Juni nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine durchgeführt wurde.
Insgesamt ist die Stimmung düsterer geworden in der Schweizer Bevölkerung. Der Pessimismus nimmt zu, die weltpolitische Lage wird als gefährlicher wahrgenommen. Eine Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus, dass es in Zukunft mehr kriegerische Konflikte in Europa geben wird.
Dies hat eine kritischere Sicht auf die Neutralität zur Folge. Insgesamt wird die Neutralität immer noch als etwas Positives wahrgenommen. Aber mit dem Krieg in der Ukraine ist die grundsätzliche Zustimmung zur Neutralität von 97 Prozent auf 89 Prozent gesunken. Das ist ein markanter Rückgang.
Skeptische Sicht auf die Schutzfunktion
Auch die Schutzfunktion der Neutralität wird skeptischer wahrgenommen. Nur noch 58 Prozent der Bevölkerung denken, dass die Neutralität die Schweiz vor kriegerischen Konflikten schützt.
Die Forscher der Militärakademie vergleichen diesen Rückgang mit der Zustimmungsrate zur Neutralität in den 1990er-Jahren. Damals brachen auf dem Gebiet der ehemaligen jugoslawischen Teilstaaten blutige Konflikte aus. Auch damals waren die Zahlen ähnlich tief, teilweise unter 80 Prozent Zustimmung.
«Je näher ein Ereignis ist, desto stärker beeinflusst dies das Meinungsbild der Schweizer Bevölkerung,» sagt der Dozent für Militärsoziologie an der Milak, Tibor Szvircsev Tresch.
Mehr Kooperation mit der Nato
Gleichzeitig wächst die Zustimmung zur militärischen Kooperation mit dem Ausland, namentlich mit dem Verteidigungsbündnis Nato, aber auch mit einer möglichen zukünftigen europäischen Allianz oder gar einer europäischen Armee.
Eine Mehrheit von 52 Prozent begrüsst eine vertiefte Kooperation mit der Nato. Der langjährige Durchschnittswert liegt hier eher bei knapp 40 Prozent. Immerhin 27 Prozent der Bevölkerung können sich einen Beitritt zur Nato vorstellen. Das ist ein wachsender Trend, der schon länger stattfindet.
Das zeigt die Spaltung der Bevölkerung.
Gleichzeitig wächst auch die Gruppe, die völlig autonom und ohne Kooperation das Land im Ernstfall verteidigen will. Militärsoziologe Szvircsev Tresch spricht von einer neuen Polarität in der Bevölkerung: «Das zeigt die Spaltung der Bevölkerung in eine Gruppe, die sagt, wir sollten uns zurückziehen, und eine Gruppe, die sagt, wir sollten uns beteiligen.»
Das hat zur Folge, dass eine Nato-Kooperation knapp mehrheitsfähig ist. Aber ein vollständiges Einfügen in die Nato und damit auch die Aufgabe der Neutralität hat keine Chance.
Zustimmung zur Armee wächst
Krisen und Kriegen haben auch Einfluss darauf, wie die militärische Landesverteidigung, also die Armee, wahrgenommen wird. Das Fazit vorab: Armeeabschaffer haben es schwer. 80 Prozent der Bevölkerung finden, die Armee brauche es. Gerade unter den Jungen zwischen 18 und 34 ist die Zustimmung stark gewachsen. Nur fünf Prozent finden explizit, eine Armee sei überhaupt nicht notwendig. Auch eine grosse Mehrheit findet, die Soldatinnen und Soldaten gehörten gut ausgebildet und gut ausgerüstet.
Keine Aufrüstungseuphorie
Hingegen entsteht wegen des Krieges in der Ukraine keine Aufrüstungseuphorie in der Schweizer Bevölkerung. Gut die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer denkt, die Armee erhalte genügend Geld. Verschiebungen gibt es aber in den anderen, kleineren Lagern.
Immerhin noch 30 Prozent der Bevölkerung denken, die Armee erhalte zu viel Geld. Das sind doch 12 Prozent weniger als vor dem Krieg. 19 Prozent – ein Plus von 12 Prozent – ist der Meinung, die Schweizer Armee erhalte zu wenig Geld.