Wegen eines Bundesgerichtsurteils durften Haus- und Kinderärzte gewisse Notfalltarife nicht mehr abrechnen. Diese gerieten deswegen in Bedrängnis und haben die Grundversorgung in Gefahr gesehen. Nun haben sich der neue Krankenkassenverband Prio.swiss und die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH geeinigt. SRF-Inlandredaktorin Noëmi Ackermann beantwortet die wichtigsten Fragen zur neuen Lösung – und sagt, wer davon profitiert.
Um was geht es bei diesem Streit?
Verschiedene Krankenkassen haben gegen die Abrechnungen von Hausärzten geklagt. Sie argumentierten, die Pauschalen würden nicht für die vorgesehenen Leistungen abgerechnet.
Was hat das Bundesgericht geurteilt?
Das Bundesgericht hat den Krankenkassen recht gegeben. Laut Bundesgericht gelten Behandlungen während der veröffentlichten Öffnungszeiten als regulär, auch wenn diese abends oder am Wochenende stattfinden. Das heisst, wer seine Praxis offen hat, darf keine Pauschalen berechnen, die für Behandlung ausserhalb der Arbeitszeiten gedacht sind. Das Bundesgericht erklärte in einem weiteren Urteil, nur Ärzte oder Ärztinnen, welche nicht bei einer Institution, also beispielsweise einer Gruppenpraxis, angestellt sind, dürften die Notfallpauschalen abrechnen. Laut dem aktuellen Tarif darf kein Institut und damit kein angestellter Arzt diese Position abrechnen.
Das Problem ist, dass etwa jede zweite Hausärztin oder jeder zweite Kinderarzt angestellt ist – entweder bei einer GmbH oder einer AG, häufig auch bei der eigenen. Diese Ärztinnen und Ärzte haben nun befürchtet, dass sie keine Notfallpauschalen mehr berechnen dürfen. Ohne diesen Zuschlag, so die Ärzteschaft, können die Behandlungen nicht kostendeckend durchgeführt werden.
Wie sieht die Einigung aus?
Der neue Krankenkassenverband Prio.swiss und die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH schreiben in einer Mitteilung, es werde bei der Berechnung von Notfallpauschalen keinen Unterschied mehr zwischen selbstständigen und angestellten Ärzten und Ärztinnen gemacht. Diese Anpassung würde den modernen Arbeitsrealitäten Rechnung tragen. Die Einigung lässt die Haus- und Kinderärzte aufatmen. So sagt Monika Reber von Haus- und Kinderärzte Schweiz: «Für uns ist diese Einigung eine grosse Erleichterung.» Die Versorgung wäre sonst vor allem in Rand- und Bergregionen gefährdet gewesen.
Welche Punkte sind noch offen?
Weiterhin nicht abgerechnet werden darf die sogenannte Dringlichkeitspauschale. Diese ist zwar tiefer als die Notfallpauschalen, sie ist aber für dringliche Fälle und nicht für Notfälle gedacht. Diese Dringlichkeitspauschale wurde oft von Walk-In- und Notfallpraxen verrechnet. Die Permanence Winterthur ist beispielsweise eine solche Praxis. So sagt die Co-Leiterin Esther Wiesendanger, es sei wichtig, dass auch dieses Problem gelöst werde. Schliesslich müsste die Praxis Abends und am Wochenenden höhere Löhne zahlen. Deswegen hat die Permanence Winterthur mit der Krankenkasse Swica eine eigene Lösung gefunden.
Wie sieht die Zukunft aus?
Das Beispiel zeigt, dass der aktuelle Tarif veraltet ist. Vor 20 Jahren galt noch eine andere (Hausarzt-)Realität. Allen ist klar, dass mit dem neuen Tarifsystem ab 2026 die Tarife den aktuellen Gegebenheiten mit Walk-In-Praxen Rechnung getragen werden muss. Der Streit zeigt aber auch, dass im Gesundheitswesen (zu) häufig in Gärtchen gedacht wird. Wenn sich das grundsätzlich ändern soll, muss grossflächiger geplant werden.