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Umstrittene Pauschale Krankenkassen erhalten Millionen von den Notfallpraxen zurück

Das Bundesgericht verbietet es Hausarztpraxen, abends und am Wochenende besondere Pauschalen abzurechnen. Diese sorgen sich nun um ihr überleben.

Die Ausgangslage: Wer abends oder am Wochenende Ohrenweh oder ein verstauchtes Knie hat, kann das in sogenannten Permanencen zeigen. Dies sind Hausarztpraxen mit erweiterten Öffnungszeiten. Die Praxen rechnen zu Randzeiten, also am Abend und Wochenende, spezielle Pauschalen ab, sogenannte Dringlichkeits-, Inkonvenienz- und Notfallpauschalen. Damit werden beispielsweise höhere Lohnkosten am Abend für Arzt- und Pflegepersonal bezahlt

Das sagt Helsana

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Die Helsana ist eine der Kassen, die geklagt hatte. Sie schreibt auf Anfrage: «Das Argument der Permanencen, dass ärztliche Leistungen in den Abendstunden höher vergütet und entsprechend abgedeckt werden müssen, ist ein betriebswirtschaftlicher Kostenfaktor einer Permanence: Sie bieten Behandlungen zu Randzeiten an. Es kann nicht sein, dass dies über eine unzulässige Vergütung finanziert wird. Als Krankenversicherer sind wir gegenüber unseren Prämienzahlenden verpflichtet, nur Leistungen zu vergüten, die gemäss Krankenversicherungsgesetz zulässig sind.»

Das Urteil: Verschiedene Krankenkassen haben gegen die Abrechnungen geklagt, sie argumentierten, diese Pauschalen seien nicht so vorgesehen, wie abgerechnet. Das Bundesgericht hat ihnen recht gegeben. Laut Bundesgericht gelten Behandlungen während der veröffentlichten Öffnungszeiten als regulär, auch wenn diese abends oder am Wochenende stattfinden. Das heisst eigentlich, wer sowieso offen hat, darf keine Pauschalen berechnen, die eben für nach dem Feierabend gedacht sind.

Arztpraxis.
Legende: Notfallpraxen bangen wegen dem Bundesgericht um ihre Existenz. Keystone/Christian Beutler (Symbolbild)

Die Folgen: Der Entscheid des Bundesgerichtes gilt per sofort und rückwirkend für fünf Jahre. Das heisst, die Krankenkassen können die Pauschalen von den Praxen zurückfordern. Für die Praxen ist die Unsicherheit deswegen aktuell gross. So sagt der Verband der Haus- und Kinderärzte Schweiz MFE, als Erstes müsse es nun Rechtssicherheit geben, damit klar ist, für wen was gilt.

Das sagen die kantonalen Gesundheitsdirektoren

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«Einige Kantone sind mit Forderungen nach finanzieller Unterstützung von grösseren Praxen konfrontiert. Dies deshalb, weil die Praxen teilweise die Summen nicht stemmen können, die sie den Versicherern rückerstatten müssen. Im Vordergrund stehen Verhandlungslösungen zwischen den betroffenen Leistungserbringern und den Versicherern. Hierzu wurden bereits erste Lösungsansätze bekannt. Auf nationaler Ebene wird die zukünftige Lösung von den Tarifpartnern in der ambulanten Tariforganisation OAAT AG zu besprechen sein. Es gilt auf jeden Fall zu verhindern, dass das Bundesgerichtsurteil Versorgungsengpässe zur Folge hat. Die GDK wird die Entwicklung daher eng weiterverfolgen.»

Die Praxen: Verschiedene Praxen suchen nun Lösungen. Einzelne haben sogar bereits die Kantone um finanzielle Hilfe angefragt. So sagt Swiss Medi Kids, die verschiedene Kinder-Permanencen führt, dass sie mit einzelnen Kassen selber Verträge gemacht hat. In Winterthur werden die Öffnungszeiten der Permanence nicht mehr auf der Homepage publiziert, sodass es nicht mehr reguläre Öffnungszeiten, sondern nur noch Notfallzeiten sind. In Zürich hat die Permanence die Öffnungszeiten um eine Stunde reduziert. Alle sagen, es brauche eine Lösung. Sie könnten am Abend keine höheren Löhne zahlen und gleichzeitig gleich viel Pauschalen bekommen wie am tagsüber.

Die Patienten und Patientinnen: Die Permanencen übernehmen einen wichtigen Teil in der Notfallversorgung. Das sehen auch die Spitäler so. So sagt der Spitalverband, die Permanencen seien wichtig, um eine Überlastung der Notfälle zu verhindern. Für die Grundversorgung sind die Kantone zuständig. Diese sagen, es sei wichtig, dass es wegen des Bundesgerichtsurteils nicht zu Versorgungsengpässen kommt.

Die Zukunft:   Das Beispiel zeigt, dass der aktuelle Tarif veraltet ist und gefragte Angebote wie die Permanencen bei seiner Einführung nicht abgedeckt wurden. Dass vor allem auch die Kindermedizin mit den zu tiefen Tarifen kämpft, ist zwar schon länger bekannt, es zeigt sich hier aber exemplarisch. Auf 2026 soll die neue Tarifstruktur, Tardoc, eingeführt werden. Aber ob es da besser wird, ist unklar. Bisher ist zu wenig bekannt, wie genau solche Randzeiten in Hausarzt- und Kinderarztpraxen abgerechnet werden sollen. Alle Beteiligten wollen aber noch eine Lösung im aktuellen System anstreben.

Echo der Zeit, 10.11.2024, 18 Uhr

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