Sie erleben zu Hause oft Gewalt, sexuelle Übergriffe, es sind Drogen im Spiel oder die Eltern verstehen nicht, wieso die Jugendlichen anders leben wollen als sie. Gassenarbeiterinnen oder Jugendarbeiter in Bern treffen immer wieder auf junge Menschen mit solchen Geschichten, die keinen anderen Ausweg sehen, als von zu Hause wegzugehen. Sie stranden in der Stadt, brauchen Hilfe.
Eine Gruppe von Fachpersonen hat sich deshalb zum Verein «sichere Träume» zusammengeschlossen und will Jugendlichen zwischen 14 und 23 Jahren mit einem neuen Angebot helfen – einer Notschlafstelle speziell für sie, sagt Eva Gammenthaler vom Vorstand: «Die jungen Menschen sollen sich bei uns erholen können, Distanz gewinnen.»
Lücke schliessen
In Bern gibt es zwar bereits Notunterkünfte für Jugendliche. Die Behörden müssen ihnen dieses Bett aber zuweisen, was Zeit braucht. Und die beiden bestehenden privaten Notschlafstellen in der Stadt nehmen nur Volljährige auf. Die Notschlafstelle speziell für Jugendliche soll eine Lücke schliessen.
Obdachlosigkeit bei Jugendlichen sei anders, als die Klischee-Bilder von Obdachlosen auf den Parkbänken oder mit den Einkaufswagen, sagt Sozialpädagoge und Projektkoordinator Robert Sans. Viele Jugendliche würden versuchen, den Schein zu wahren, um unentdeckt zu bleiben: «Sie machen ihre Lehre normal fertig, weisen nichts Auffälliges auf, leben aber auf der Strasse.» Darum würde das Umfeld dies nicht immer merken.
Junge Menschen bringen sich in risikohafte Situationen.
Jugendliche würden oft jemanden finden, bei dem sie unterkommen können, den sie aber oft nicht kennen und sich dadurch in sehr risikoreiche Situationen bringen würden, sagt Eva Gammenthaler: «Gerade junge Frauen können sich in Situationen begeben, bei denen Gegenleistungen erwartet werden oder illegale Substanzen oder Gewalt im Spiel sind.»
Bisher einzige Schlafstelle in Zürich
Es gibt aktuell keine Zahlen dazu, wie viele junge Menschen in Bern auf der Strasse leben. Dass es ein Angebot braucht, zeigt aber der Vergleich mit Zürich. Dort steht die bisher einzige Notschlafstelle der Schweiz speziell für Jugendliche. Auf Nachfrage heisst es dort, jedes der zehn Betten sei regelmässig besetzt. Voll belegt sei man aber nicht immer. In Zürich erhält man ein Bett ab 16 Jahren, Bern bereits ab 14.
Wer kommt, kann gratis in einem Einzelzimmer übernachten, für maximal drei Monate. Anonym übernachten können die Jugendlichen aber nicht. Bei Minderjährigen muss der Verein die Behörden, beziehungsweise die Eltern informieren, erklärt Robert Sans: «Wir sind an rechtliche Rahmenbedingungen gebunden. Ob es eine Gefährdungsmeldung braucht oder wie die Obhutsberechtigten informiert werden, wollen wir mit den betroffenen Personen zusammen anschauen.»
Nur wer Hilfe braucht, kommt
Neben dem Übernachten will die Notschlafstelle den Jugendlichen auch helfen, eine Lösung für ihre Situation zu finden: Eine Wohnung, eine betreute Wohngemeinschaft oder psychologische Hilfe.
Es ist kein 5-Sterne-Hotel und auch kein Hostel, um Party zu machen.
«Es soll eine erste Tür sein, die aufgeht, um mit den Jugendlichen längerfristige Lösungen zu suchen», sagt Eva Gammethaler. Ein 5-Sterne-Hotel oder ein Hostel zum Feiern sei es aber nicht. Anziehen werde das niemanden, der das nicht auch nötig habe.
Die Notschlafstelle für Jugendliche soll pro Nacht bis zu sechs Jugendliche unterbringen können. Dazu braucht der Verein zwei Millionen Franken, das von Stiftungen, Kirchen, Spenden oder der öffentlichen Hand kommt. Geplant ist eine Eröffnung im April.