Das Leben als Sans-Papiers sei ein Kampf, sagt Anna. «Vom Morgen bis am Abend.» Ein Kampf um den Job, um die Unterkunft, ein Kampf auch, Polizeikontrollen zu vermeiden, erklärt die Sans-Papiers bei einem Treffen in Basel.
Für die Schule bräuchte es die Krankenkasse
Anna heisst eigentlich anders. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Aber sie ist bereit, über ihre Situation zu sprechen. Seit fünf Jahren lebe sie in der Schweiz. Seit ihr Visum abgelaufen ist, ist sie illegal im Land, zusammen mit ihrem 14-jährigen Sohn.
Zur Schule geht der nicht. «Dafür bräuchte es eine fixe Adresse und eine Anmeldung bei der Krankenkasse.» Das habe sie aktuell nicht. Immerhin sich selbst hat Anna versichern können.
Ich habe alle Arbeiten schon gemacht, in allen Branchen. Auch die schwersten.
Wie viele Sans-Papiers schlägt sich Anna mit Gelegenheitsjobs durch: Putzen, kleine Rennovationen, Altenpflege, Gastro. Sie sagt, sie habe alle Arbeiten schon gemacht. «Auch die schwersten.»
Bei Rot über die Strasse: gefährlich
Sie versuche, unter dem Radar zu bleiben. Abends nach 8 Uhr sei sie selten unterwegs. «Und ich vermeide Orte wie den Bahnhof, an denen oft kontrolliert wird.» Sans-Papiers versuchten grundsätzlich, keine Probleme zu machen.
Schon bei Rot über die Ampel zu gehen, ist gefährlich. Fachleute sprechen von Überkorrektheit.
Niemand wird sich mehr bei der Krankenkasse anmelden.
Jetzt will das Parlament, dass Krankenkassen den Behörden Annas Wohnort melden. Aber sie wisse genau, was dann passiert: «Niemand wird sich mehr bei der Krankenkasse anmelden, weil alle Angst haben.»
Bewusste Trennung soll aufgehoben werden
Heute sind Annas Daten geschützt. Sans-Papiers können sich bei Krankenkasse, AHV und IV anmelden. Die Informationen gelangen nicht zu den Migrationsbehörden.
Laut Christin Achermann, Professorin für Migration, Recht und Gesellschaft an der Uni Neuenburg, war das ein bewusster Entscheid: «Man ging davon aus, dass es ein Interesse an Migrationskontrolle gibt. Und ein Interesse an öffentlicher Gesundheit, an einem menschenwürdigem Leben für Menschen, die sich in der Schweiz aufhalten.» Nun werde alles der Migrationskontrolle untergeordnet. Achermann sieht den Datenaustausch deshalb kritisch.
Ähnlich beurteilt das Katharina Boerlin von der Plateforme Sans-Papiers: «Aus unserer Sicht ist das schlicht nicht umsetzbar.» Der Datenaustausch sei mit Menschenrechten und der Bundesverfassung nicht vereinbar.
Fremdenpolizei ebenfalls kritisch
Selbst der Leiter der Berner Fremdenpolizei, Alexander Ott, äussert Kritik. Er ist einer, der mit den zusätzlichen Daten künftig Sans-Papiers aufspüren sollte.
Diese Leute werden ja nicht kriminell im eigentlichen Sinne.
Ott sagt aber: «Wir können diesen Personen gar nicht nachgehen.» Es fehle schlicht das Personal. «Diese Leute werden ja nicht kriminell im eigentlichen Sinne.» Er vermutet, der Parlamentsentscheid werde in der Praxis wenig ändern. Vielmehr gehe es wohl darum, Sans-Papiers weiter zu prekarisieren, sagt der Leiter der Berner Fremdenpolizei.
Entscheid löst bei Betroffenen Angst aus
Bringt nichts, nicht umsetzbar, schädlich: Das sagen jene zum Datenaustausch, die mit Sans-Papiers arbeiten. Und Anna? «Das macht mir natürlich Angst. Wir haben Angst, dass wir gefunden und ausgewiesen werden.»
Bei den betroffenen Sans-Papiers löst der Entscheid des Parlaments also sehr wohl etwas aus.