Operation Schwalbenrettung - Wie eine biblische Plage: Es «regnete» tote Schwalben
Im Herbst 1974 bedrohte ein Kälteeinbruch die Schwalben. In einer beispiellosen Rettungsaktion wurden bis zu zwei Millionen Zugvögel per Flugzeug oder Zug über die Alpen gebracht.
Im September 1974 wurde es auf einmal kalt. Viel kälter als sonst um diese Jahreszeit. Von dem plötzlichen Kälteeinbruch wurden Tausende Schwalben überrascht, die es noch nicht über die Alpen geschafft hatten.
Der damalige Rettungshelfer Guido Viel erinnert sich noch gut an jenen Herbst. «Es hat Schwalben geregnet», sagt der heute 86-jährige Aargauer. «Die Schwalben sind im Gleitflug total erschöpft auf den Boden geprallt.» Viele Tiere seien dabei gestorben.
Guido Viel hat in seiner Freizeit überlebende Schwalben eingesammelt, sie mit dem Aufbaupräparat Biostrath und zerkleinertem Hackfleisch gefüttert und so versucht, die Schwalben wieder aufzupäppeln. Nächtelang habe er sich gemeinsam mit Freundinnen und Freunden um die Schwalben gekümmert.
Hungrige Vögel im Büro
An seinem Arbeitsplatz am Paul Scherrer Institut (PSI), einer Forschungseinrichtung, habe er Schnüre gespannt, auf denen dichtgedrängt die Schwalben sassen, erzählt Guido Viel. Die geschwächten Tiere hätten bereits ihre Schnäbel geöffnet, als sie ihn mit der Pinzette und dem improvisierten Vogelfutter kommen sahen.
Die Tiere seien so geschwächt gewesen, dass sie ihre Angst vor dem Menschen verloren hatten. «Wenn wir am Verhungern sind, sind wir wohl auch nicht wählerisch, wenn uns jemand Futter bringt.»
Mehr als eine Million Schwalben in den Süden gebracht
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«Aktion Schwalbenrettung» hiess 1974 das Verschieben der Zugvögel per Bahn und Flugzeug.
Auf diese Weise wurden mehr als eine Million Schwalben im Flugzeug transportiert. Sie galten als sogenanntes «Beigut» auf den Flügen.
Betroffen waren Rauchschwalben, Mehlschwalben, Alpen- und Mauersegler, sagt die Vogelwarte Sempach auf Anfrage.
Nebst der Swissair flogen auch Air France und Iberia Schwalben südwärts.
Die SBB brachte die Tiere ins Tessin, die Flüge gingen unter anderem nach Griechenland.
Wie viele Schwalben er und sein Freunde wieder aufpäppeln konnten, kann der ehemalige Reaktor-Operateur heute nicht mehr sagen. Aber: «Wir haben bestimmt Tausende von Schwalben gerettet». Für den Aargauer Tierfreund Viel war die ganze Schwalben-Rettungsgeschichte allerdings nach wenigen Tagen wieder vorbei.
Die Tiere, die er am PSI gefüttert hatte, brachte er nach Würenlos auf die Vogelpflegestation. Von dort kamen sie schliesslich entweder nach Kloten, wo sie mit der Swissair nach Süden geflogen wurden – oder die Vögel reisten mit dem Zug. Die SBB stellte den Zugvögeln, die kurzzeitig am PSI waren, einen Gepäckwagen zur Verfügung und brachte sie ins Tessin.
Internationale Solidarität
Sehr viele Freiwillige beteiligten sich in diesen Tagen im Herbst 1974 an der Rettung der Schwalben. In der Schweiz, aber auch im benachbarten Ausland, lancierten Umweltverbände sowie zahlreiche freiwillige Helferinnen und Helfer eine umfangreiche Artenschutzaktion.
Könnte sich so ein Ereignis wiederholen?
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Livio Rey ist Mediensprecher der Vogelwarte Sempach und spricht über damalige und heutige Zugvögel-Ereignisse.
SRF News: Ist angesichts des Klimawandels ein so früher Wintereinbruch heute vorstellbar?
Livio Rey: Das ist denkbar, wir haben das diesen Herbst ja erlebt in Österreich und auch in Osteuropa. Die Wettersituationen werden heftiger und unbeständiger, es ist denkbar, dass eine Regenperiode wie 1974 häufiger vorkommen kann.
Schwalben müssen in den Süden ziehen, andere Vögel bleiben vermehrt hier, oder?
Schwalben sind explizite Zugvögel, die in Afrika südlich der Sahara überwintern. Andere Vögel, die in Südeuropa überwintern, können sich besser anpassen, der Rotmilan oder der Weissstorch zum Beispiel.
Was hat die Rettungsaktion damals gebracht?
Das ist schwierig zu sagen. Es gab Schwalben, die es nicht geschafft haben, sie waren zum Beispiel schon stark geschwächt. Es gab auch Hinweise darauf, dass die Populationen nach jenem Herbst tiefer waren. Aber die Populationen haben sich nach einigen Jahren erholt, das zeigen Zahlen.
Die Aktion hat auch mit der Beliebtheit der Schwalben zu tun, oder?
Die Schwalben sind beliebte Vögel und im Volksglauben bringen sie Glück. Das ist tief verankert. Daher kommt das Interesse, den Schwalben zu helfen.
Das Gespräch führte Alex Moser.
Gemäss einem Experten der Vogelwarte Sempach ist jene Operation zur Schwalbenrettung im Jahr 1974 punkto Ausmass einzigartig und ist so nicht mehr vorgekommen.
Allerdings sind Hilfsaktionen für notleidende Vögel keine Seltenheit. So wurden zum Beispiel im Herbst 1931 an die hunderttausend Schwalben von Wien per Flugzeug oder Zug nach Venedig transportiert und in Venedig freigelassen.
Regen in Österreich 50 Jahre später
In diesem Jahr ereignete sich ein ähnlicher Vorfall bei Unwettern in Österreich. Dort haben Kälteeinbruch und Dauerregen Mitte September die Vögel überrascht. Die Folge: Zugstau, die Schwalben kamen nicht weiter.
Das Fliegen und die Nahrungssuche waren erschwert, viele Tiere starben, berichteten Tierschutzorganisationen.
Solche Situationen könnten sich aufgrund des Klimawandels wiederholen, heisst es bei der Vogelwarte Sempach, der gemeinnützigen Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz.
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