Wie schon der deutsch-schweizerische Schriftsteller Hermann Hesse schrieb: «Der Tod gehört zum Leben wie die Nacht zum Tag». Gemäss einer Umfrage des Bundes möchten die meisten Menschen zu Hause sterben. Aber was bedeutet das für die Angehörigen? Steffen Eychmüller, Professor für Palliativmedizin und Chefarzt am Inselspital Bern, erklärt im Interview, wie es um die Palliativmedizin in der Schweiz steht.
SRF News: Was genau ist die palliativmedizinische Betreuung?
Steffen Eychmüller: Wichtig ist, dass es nicht nur ums Sterben geht, sondern auch um die Zeit davor. Es geht darum, die Lebensqualität unheilbar schwerkranker Menschen zu verbessern. Nicht nur durch Medikamente, sondern auch durch Strukturen, die Sicherheit geben. Dass die Betroffenen wissen, dass sie bei einer Komplikation zu Hause nicht allein sind. Sie wissen, wie sie sich bis zu einem gewissen Grad selbst behandeln können und sie wissen, wo sie hingehen können, wenn es nicht mehr geht. Das gibt ein Gefühl der Ruhe in einer sehr herausfordernden Lebenssituation.
Oft wird das Thema palliative Behandlung zu lange aufgeschoben.
Ist die Palliative Care im schweizerischen Gesundheitswesen ausreichend verankert?
Oft wird das Thema palliative Behandlung zu lange aufgeschoben, bis eine Schwelle erreicht ist, an der Heilung keine Option mehr ist. Viele Menschen fürchten diesen Moment und denken, ab dann gäbe es keine Möglichkeiten mehr. Es wäre jedoch sinnvoll, von Anfang an einen klaren und gut ausgearbeiteten Plan B zu haben.
Gemäss einer Umfrage möchte die Mehrheit der Menschen zu Hause sterben – dafür braucht es mobile Palliativpflege. Kann die Schweiz diesem Wunsch gerecht werden?
Ich würde sagen, Nein. Einerseits haben wir nicht genügend Fachkräfte, die solche Leistungen erbringen können und andererseits mangelt es uns an privaten Netzwerken wie Familien, die in der Lage sind, schwerkranke Menschen zu Hause zu pflegen. Die sogenannte 95-zu-5-Regel besagt, dass der Patient 95 Prozent des Tages ohne fachliche Betreuung verbringt und nur 5 Prozent davon durch Fachpersonal betreut wird. Es ist also nicht nur ein Thema für das Gesundheitswesen, sondern auch ein Thema für die Gesellschaft.
Wir haben nicht genügend Fachkräfte, die solche Leistungen erbringen können.
Letztlich werden wir alle, ob gewollt oder ungewollt, zu Palliativpflegern, wenn ein Angehöriger schwer erkrankt. In einigen Fällen leiden die Angehörigen sehr unter dieser Rolle, weil sie Kinder und Beruf nicht mit der Pflege des Kranken vereinbaren können.
Für pflegende Angehörige muss das eine grosse Belastung sein?
Ja, es ist schwer zu ertragen. Es ist harte Arbeit, körperlich, aber auch emotional. Man steht rund um die Uhr im Einsatz. Man muss auch akzeptieren, wenn es zu Hause nicht mehr geht. Wenn die Situation zu belastend wird, stellt sich die Frage, ob ein Hospiz nicht der bessere Ort zum Sterben ist. Das kann die Situation entlasten, da die Angehörigen dann «nur» noch als Angehörige gefragt sind und nicht gleichzeitig als Pflegerin und Haushälterin und vieles mehr. Wir hören oft von Angehörigen, dass sie froh sind, diesen Schritt gemacht zu haben, obwohl sie ursprünglich versprochen hatten, das Sterben zu Hause zu ermöglichen.
Glauben Sie, dass man sich auch im Alltag der eigenen Endlichkeit bewusst sein sollte?
Ich finde, das ist eine gute Idee, die schon seit Jahrhunderten gepflegt wird, beispielsweise unter dem Motto: Carpe Diem, lebe den Tag und nutze ihn intensiv. Das ist eine alte philosophische Weisheit. Es ist wichtig, sich zu entschleunigen und sich seiner Umwelt bewusst zu werden.
Das Gespräch führte David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi.