- Der Bundesrat soll selber Sanktionen ergreifen und nebst Staaten auch gegen Einzelpersonen und Unternehmen anwenden können – etwa, wenn diese Menschenrechte verletzen.
- Diesen Paradigmenwechsel will die zuständige Nationalratskommission.
- Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) stimmte einer entsprechenden Revision des Embargogesetzes zu, wie die Parlamentsdienste am Dienstag mitteilten.
- Der Entscheid fiel demnach mit 18 zu 6 Stimmen.
Der Kurswechsel erfolgt nicht zuletzt unter dem öffentlichen Druck, sämtliche Sanktionen der EU gegenüber Russland und Belarus zu übernehmen. Dazu gehören auch sogenannte thematische Sanktionen, welche die Schweiz bisher nicht übernommen hat.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin und seine Experten verwiesen in den letzten Wochen mehrmals darauf, dass die Folgen der Übernahme thematischer Sanktionen genau geprüft werden müssten. Vor bald einem Jahr hatte der damalige Bundespräsident betont, dass dies «eine grundsätzliche Abkehr von der Schweizer Neutralitätspolitik» wäre.
Die APK-N hatte die Revision der Schweizer Sanktionspolitik im Sommer 2021 sistiert, weil sie die Schlussfolgerungen der Koordinationsgruppe des Bundesrats abwarten wollte. Diese werden voraussichtlich im Sommer vorliegen.
Nägel mit Köpfen
Nun macht die Nationalratskommission doch früher als geplant Nägel mit Köpfen. Sie will den Bundesrat ermächtigen, eigenständig Sanktionen zu ergreifen und sie nicht nur gegen Staaten, sondern auch gegen Einzelpersonen und Firmen anzuwenden. Sanktionen dieser Art werden länderübergreifend angeordnet und können sich etwa auf Chemiewaffen oder die Verletzung von Menschenrechten beziehen.
Konkret schlägt die Kommission vor, dass der Bundesrat Zwangsmassnahmen gegen Personen ergreifen darf, die sich an Verletzungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte oder an anderen Gräueltaten beteiligen. Dieser Antrag fand mit 14 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Mehrheit. Der Ständerat hatte denselben Antrag im vergangenen Sommer – vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine – deutlich abgelehnt.
Streit um Auslegung der Neutralität
Die Mehrheit der Nationalratskommission unterstützt eine offensivere Schweizer Sanktionspolitik, da diese in ihren Augen gleichzeitig die Wahrung der Neutralität weiter ermöglicht, wie es in der Mitteilung heisst. Aus Sicht der Minderheit würde das Schweizer Neutralitätsgebot dagegen missachtet, wenn es dem Bundesrat ermöglicht würde, die Sanktionen Dritter auf neue Akteure seiner Wahl auszuweiten.
Gestützt auf das Embargogesetz werden heute Sanktionen der UNO, der EU oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) durchgesetzt. Die so ergriffenen Massnahmen sind auf vier Jahre beschränkt und können einmal verlängert werden. Massnahmen, die darüber hinausgehen, stützt der Bundesrat heute auf die Bundesverfassung ab.
Politikerinnen und Politiker im Visier
Die Kommission nimmt aber auch einzelne Politikerinnen und Politiker ins Visier. Im Gleichklang mit den Beschlüssen zum Embargogesetz hielt die Kommission mit 13 zu 10 Stimmen daran fest, einer parlamentarischen Initiative von Fabian Molina (SP/ZH) Folge zu geben. Molina verlangt Sanktionen gegen hochrangige Politikerinnen und Politiker, wenn diese schwere Menschenrechtsverbrechen begangen haben.
Die Schwesterkommission des Ständerats lehnte die Initiative bisher ab. Damit die Initiative umgesetzt werden kann, müssen ihr beide Räte zustimmen.