«Alles ging extrem lange. Es dauerte einen Monat, bis den Kantonen überhaupt gesagt wurde, was sie genau tun müssen.» Das sagt Angela Mattli, Co-Geschäftsleiterin der NGO «Public Eye». Ihre Kritik richtet sich primär an das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das für die Umsetzung der Sanktionen gegen Russland zuständig ist.
Und Mattli ist damit nicht allein. Wer steht genau in der Pflicht? Wie aktiv müssen die Behörden vorgehen, um russische Vermögen in der Schweiz aufzuspüren? Mehrere Wochen blieben diese Fragen ungeklärt, wie etwa die SRF-Sendung Reporter vom 23. März aufzeigte.
Seco: «Es ist nichts schiefgelaufen»
Das Seco weist die Vorwürfe von sich: Er glaube nicht, dass bei der Umsetzung der Sanktionen etwas schiefgelaufen sei – das System funktioniere gut, sagt Erwin Bollinger auf die entsprechende Frage der «Club»-Moderatorin Barbara Lüthi. Er leitet beim Seco den Bereich «Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen».
Am vergangenen Donnerstag informierte er die Öffentlichkeit darüber, wie die Umsetzung der Sanktionen voranschreitet: 7.5 Milliarden an russischen Geldern und Vermögenswerten habe man seit Ende Februar eingefroren. «Die Schweiz hat damit so viel Geld gesperrt, wie noch kaum ein anderes Land», so Bollinger an der Medienkonferenz in Bern.
Im «Club» räumt er nun aber ein: Die Frage, welchen Anteil diese 7.5 Milliarden ausmachten, ob das viel oder wenig sei, gemessen am Gesamtbetrag russischer Gelder in der Schweiz, lasse sich nicht beantworten. «Ich kann das nicht beurteilen», sagt Bollinger dazu.
Es würden unterschiedliche Zahlen kursieren, was das Total der russischen Vermögen angehe. So spreche etwa die Bankiervereinigung von 200 Milliarden Franken. Doch gelte zu bedenken, dass längst nicht alle russischen Bürger von den Sanktionen betroffen seien: «Es herrscht kein Generalverdacht.»
Fehlende Transparenz bei Trusts
Dass tatsächlich niemand die genauen Zahlen kennt, bestätigt auch Angela Mattli. «Public Eye» ist auf Recherchen im Rohstoffsektor spezialisiert und fordert seit Jahren mehr Transparenz. Aus ihrer Sicht sind besonders sogenannte Trusts ein Problem: Gelder, die etwa von einer Anwältin oder einem Treuhänder verwaltet werden und für die es kein Register gibt.
Dieses Problem sieht auch Ex-Botschafter Thomas Borer: Strohmänner und -firmen führten zu einer Verschachtelung, die es für das Seco schwierig mache, einen Überblick zu gewinnen. Borer selbst geht davon aus, dass weitaus Geld eingefroren werden müsste.
Das Seco habe verschiedene Bemühungen unternommen, um Klarheit zu schaffen, erläutert Erwin Bollinger: Man habe ein Rundschreiben an Grundbuchämter geschickt, Webinars durchgeführt, tausende von E-Mails und hunderte von Anrufen beantwortet. Zu reden gibt allerdings das Merkblatt für die Kantone, das das Seco am 1. April veröffentlicht hat. An einer Stelle heisst es:
«Falls ein Steueramt im Rahmen seiner Arbeit Kenntnis erhält von Geldern oder Vermögenswerten, von denen anzunehmen ist, dass sie unter die Sperrung nach Artikel 15 Absatz 1 Ukraine-Verordnung, müsse sie dies dem Seco unverzüglich melden.»
«Das heisst für mich übersetzt: Wenn ein Steuerbeamter zufällig über das Vermögen einer sanktionierten Person stolpert, muss er das melden. Überlassen Sie da nicht zu viel dem Zufall?», wollte Moderatorin Barbara Lüthi von Erwin Bollinger wissen. Auch hier wies dieser die Kritik zurück.
«Von den 900 Personen auf der Sanktionsliste sind maximal eine Handvoll in der Schweiz steuerpflichtig», so Bollinger. Zudem sei eine Sperrung der Vermögenswerte durch die Finanzinstitute wichtiger als die Meldung bei den Behörden.
SP und GLP fordern härteren Kurs
Vertreterinnen und Vertreter aus dem linken politischen Lager und der Mitte geben sich damit nicht zufrieden. So fordert etwa die SP eine nationale Taskforce, um die Gelder aufzuspüren: «Ob wir in der Schweiz ein paar Milliarden mehr oder weniger einfrieren, hat im besten Fall einen kleinen Einfluss auf den Kriegsverlauf. Aber es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit», sagt der Bündner Nationalrat Jon Pult dazu.
GLP-Präsident Jürg Grossen fordert mehr Leadership vom Bundesrat: «Ich habe den Eindruck, der Bundesrat ist überfordert. Er erteilt dem Seco keine klaren Aufträge.» Ihm fehle eine klare Haltung, der Bundesrat verhalte sich nicht proaktiv, sondern reagiere bloss, so Grossen: «Von einer Landesregierung erwarte ich mehr als das.»