Quer durchs Land bauen Spitäler Betten ab, auch am Inselspital Bern, bestätigt Nayan Paul. Er leitet die Pflege im Bereich Herz und Gefässe: «Ja, es werden Betten geschlossen, weil wir nicht genügend qualifiziertes Pflegefachpersonal haben.» Für Nayan Paul bedeutet das zusätzlichen Stress: «Wir stecken viel Energie in die Rekrutierung von Personal. Im Alltag schauen wir, dass wir Mitarbeitende, die tief prozentig arbeite, zu höheren Beschäftigungsgraden animieren können. Und wir versuchen, die Betten mit einer guten Planung optimal zu belegen.»
Pflegefachpersonen werden praktisch an jedem freien Tag angerufen, ob sie nicht doch arbeiten kommen können.
Neu ist der Personalmangel in der Pflege nicht, doch die Lage hat sich weiter zugespitzt. Das beobachtet auch Christina Schumacher vom Schweizerischen Berufsverband der Pflegefachpersonen: «Sie werden praktisch an jedem freien Tag angerufen, ob sie nicht doch arbeiten kommen können. Die Schichten sind sehr streng und gedrängt.»
Viele Pflegefachpersonen haben in den letzten Monaten gekündigt, weil sie den Stress im Spitalalltag nicht mehr aushalten. Das führt wiederum dazu, dass diejenigen, die geblieben sind, noch mehr Druck hätten, sagt Schumacher: «Durch das entsteht ein Teufelskreis. Der ist nur damit zu durchbrechen, dass man jetzt Sorge trägt zum Personal und dafür sorgt, dass es bleibt.»
Weniger arbeiten bei gleichem Lohn
Ein kleines Spital im Zürcher Oberland will diesen Teufelskreis mit einer besonderen Massnahme durchbrechen. Seit Juni müssen Pflegefachpersonen im Spital Wetzikon weniger arbeiten, erhalten aber gleich viel Lohn. Alle diplomierten Pflegefachpersonen, die im Schichtbetrieb eingeteilt sind, arbeiten zehn Prozent weniger zum selben Salär.
Das sei eine Sofortmassnahme, bis die Pflegeinitiative ihre Wirkung zeige, sagt der CEO des Spitals Wetzikon, Matthias Spielmann: «Der Bundesrat ist angehalten, bis in zwei Jahren Verbesserungen vorzunehmen. Wir können nicht zwei Jahre warten. Wir haben diesen Notstand jetzt.»
Studien und Umfragen hätten gezeigt: Die Pflegefachpersonen wünschen sich nicht primär einen höheren Lohn, sondern mehr Zeit und weniger Stress. Der neue Ansatz gehe offenbar in die richtige Richtung, meint Spielmann: «Durch die Reduktion der Arbeitszeiten sind bestimmte Mitarbeiterinnen bereit, ihre Pensen zu erhöhen und wir können Personal von aussen rekrutieren. Es zeigt sich, dass auf den Herbst eine Entspannung kommt.»
«Es ist fünf nach zwölf in den Spitälern»
Wetzikon ist nicht das einzige Spital in der Schweiz, das diesen Weg beschreitet, weiss Florian Liberatore. Er forscht am Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW in Winterthur. Andere Spitäler probierten ähnliche Modelle aus: «Sie gestalten es etwas anders aus. Aber im Prinzip geht es in die Richtung: geringere Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.»
Die Spitäler haben inzwischen einen solchen Mangel an Pflegefachpersonen, dass sie gar nicht mehr anders können, als mit derartigen Massnahmen die Pflegekräfte zu halten.
Natürlich koste das die Spitäler Geld. Aber: Nichtstun sei keine Option, sagt Liberatore: «Es ist fünf nach zwölf. Die Spitäler haben inzwischen einen solchen Mangel an Pflegefachpersonen, dass sie gar nicht mehr anders können, als mit derartigen Massnahmen die Pflegekräfte zu halten.»
Weniger arbeiten, aber gleich viel verdienen: Als Überbrückung, bis die Pflegeinitiative umgesetzt ist und greift, müssten die Schweizer Spitäler mit Modellen wie in Wetzikon experimentieren, damit nicht noch mehr Pflegefachpersonen ausgebrannt den Kittel an den Nagel hängen.