Der amtierende Aussenminister Ignazio Cassis wurde kürzlich in einer Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo zum unbeliebtesten Bundesrat erkoren. Woran das genau liegt, beantwortet die Umfrage zwar nicht.
Ein Blick in die Geschichte zeigt aber, dass es vielen Aussenministern ähnlich erging, sie waren unbeliebt. «Historisch betrachtet ist der Aussenminister oder die Aussenministerin eigentlich immer die ‹Pfui-Person› im Bundesrat gewesen», sagt Historiker Sacha Zala, Direktor der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz.
Die Gründe für den negativen Stempel seien vielschichtig und hätten nicht nur, aber auch mit der Struktur der Bundesverwaltung zu tun. Die sieben Bundesrätinnen und Bundesräte hätten insgesamt 2000-2500 Entscheide pro Jahr zu fällen, unglaublich viel also. Dies sei nur möglich, weil die Departemente sich kaum reinreden würden.
Das sogenannte Kollegialitätsprinzip führe dazu, dass die Entscheide der einzelnen Bundesräte in der Regel durchgewinkt würden. Nicht so beim Aussendepartement, sagt Historiker Zala: «Komplexe aussenpolitische Themen berühren alle Departemente. Das ist die Krux des Aussendepartements»
Aussenminister muss Hiobsbotschaften verkünden
Bei der Aussenpolitik reden die anderen Departemente mit. Prominentes Beispiel ist die Debatte über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR 1992. Federführend war damals zwar das Aussendepartement. Aber die wirtschaftlichen Fragen liefen über das Wirtschaftsdepartement.
Die Entscheide zum Alptransit über das Verkehrsdepartement. Und die juristischen Auswirkungen über das Justizdepartement. Viele Köche also – die versalzene Suppe der Bevölkerung servieren, musste am Schluss aber Aussenminister René Felber.
So funktioniere das häufig, sagt Sacha Zala: «Der Aussenminister muss dann Hiobsbotschaften überbringen, für die er nicht allein zuständig ist.»
-
Bild 1 von 7. Ehemaliger Aussenminister Didier Burkhalter traf in seiner Funktion als OSZE-Vorsitzender den russischen Präsident Putin im Mai 2014, um die Gewalteskalationen in der Ukraine zu stoppen. Bildquelle: Keystone/ Alexey Druginyn/ Ria Novosti.
-
Bild 2 von 7. Acht Jahre später trifft sich Aussenminister Ignazio Cassis im September 2022 mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow, um ebenfalls eine Eskalation im Ukraine-Krieg zu verhindern. Bildquelle: Keystone/ Ministry of Foreigns Affairs of Russia.
-
Bild 3 von 7. Amre Moussa, ägyptischer Aussenminister (links) und Bundesrat Flavio Cotti treffen sich im November 1997 ein paar Tage vor der Trauerfeier für die Opfer von Luxor. Bei dem Attentat in Ägypten waren unter den 58 getöteten Touristen 36 Schweizer. Bildquelle: Keystone/Sigi Tischler.
-
Bild 4 von 7. 2008 sorgte Micheline Calmy-Rey während ihrem Besuch bei dem damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad für Wirbel, als sie ein Kopftuch trug. Bildquelle: Keystone/ Hasan Sarbakhsian.
-
Bild 5 von 7. Die beiden alt Bundesräte, Aussenminister Joseph Deiss, rechts und Volkswirtschftsminister Pascal Couchepin, links, nehmen im März 2001 Stellung zu drei verlorenen Initiativen. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 7. Die zwei alt Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz und Rene Felber kommentieren die verlorene Abstimmung, nach dem Nein zum EWR. Aufgenommen in Bern im Dezember 1992. Bildquelle: Keystone/ Rolf Schertenleib.
-
Bild 7 von 7. Pierre Aubert empfängt im Mai 1985 auf seiner Reise im Nahen Osten als Aussenminister der Schweiz in Damaskus den damaligen syrischen Präsidenten Hafez Al-Assad. Bildquelle: Keystone.
Jobprofil «Superman» oder «Superwoman»
Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass die Schweizer Aussenpolitik seit eh und je kontrovers ist und Mehrheiten im Inland schwierig zu finden sind. Das bekommt derzeit auch der aktuelle Aussenminister Ignazio Cassis zu spüren.
Die Gespräche über das Rahmenabkommen mit der EU stocken unter anderem, weil es in der Schweiz selbst keinen Konsens gibt. Ein schneller und zielführender Auftritt im Ausland wird damit erschwert. Die Anforderungen an den Aussenminister sind in solchen Situationen extrem hoch, sagt Historiker Sascha Zala: «Es bräuchte eigentlich einen Superman.»
Ignazio Cassis hätte nun die Möglichkeit, sich aus dem Schussfeld zu nehmen und das Departement zu wechseln. Fragt sich nur, ob ein neuer Aussenminister oder eine neue Aussenministerin dem Jobprofil – «Superman» oder «Superwoman» – eher entspricht.