Es wird geknetet, gedrückt, gezogen und Gewicht gestemmt. Die Physio-Branche boomt. Das schlägt sich auch in den Gesundheitskosten nieder.
2011 beliefen sich die Kosten der Physiotherapie in der Grundversicherung auf 660 Millionen Franken. 2016 waren es schon 940 Millionen, 50 Prozent mehr. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Es leben mehr und auch mehr ältere Menschen in der Schweiz.
Neue Praxen wollen ausgelastet sein
«Und», sagt Verena Nold vom Krankenkassenverband Santésuisse, «wir stellen fest, dass immer mehr Ärzte Physiotherapieleistungen verschreiben und dass die Patienten, die diese Therapie bekommen, mehr Sitzungen erhalten. Das führt zu einer Mengensteigerung und zu höheren Kosten».
Jede neue Praxis kostet die Versicherten. Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl der Therapiepraxen um 20 Prozent gestiegen. Das beschäftigt auch Pius Zängerle vom andern Krankenkassenverband Curafutura. Neu ausgestattete Praxen können zur Herausforderung für Therapeuten werden. «Sie wollen, dass ihre Geräte ausgelastet werden. Damit befeuern sie das Mengenwachstum.»
Wartelisten für die Physiotherapien
Die Zahl der Konsultationen pro Physiotherapeut ist um 37 Prozent gestiegen. Pia Fankhauser, Vizepräsidentin des Verbands Physioswiss, kontert, dass ihre Therapeuten bestimmt nicht auf der Strasse Patienten suchen würden. «Wir haben Wartelisten. Und wir haben einen Fachkräftemangel und wir dürfen nicht zu Lasten der Krankenkasse ohne Verordnung abrechnen», sagt sie.
Die Physiotherapeuten dürfen nur über die Krankenkasse abrechnen, wenn ein Arzt die Behandlung verordnet hat. Dank Physiotherapie kann zwar gelegentlich unter gewissen Voraussetzungen eine teure Operation vermieden werden.
Andererseits wird gleichzeitig mehr operiert, was dann wiederum oft Physiotherapie zur Folge hat. Deshalb appellieren die Krankenkassen auch an die Selbstverantwortung von Ärzten und Therapeuten. Jede Behandlung kostet, aber nicht jede ist zielführend oder nötig. Appelliert wird auch an die Patienten.
Ein bisschen Bewegung hält fit
Mit der nötigen Portion Bewegung kann der Körper in Schuss gehalten werden und wenn schon Probleme bestehen, helfen oft angeleitete Übungen, wenn man sie daheim diszipliniert ausführt. Die Lösung sei nicht einfach, sagt Curafutura-Direktor Zängerle: «Die Grenzziehung zwischen Wohlbefinden und Krankheit ist schwierig und es ist wichtig, dass die Eigenverantwortung sowohl finanziell als auch im Verhalten der Leute eine grössere Rolle spielt.»
Von den 30 Milliarden Franken Gesundheitskosten macht Physiotherapie mit einer Milliarde zwar nur einen mässig grossen Teil aus. Aber in Anbetracht der dauernd steigenden Krankenkassenprämien sind auch diese Kosten keine Quantité négligeable, nicht vernachlässigbar.
Aufhebung des Vertragszwangs?
Nold von Santésuisse ortet bei der Physio-Therapeuten-Dichte Handlungsbedarf: «Die Krankenversicherer sollten nur die besten Physiotherapeuten bezahlen müssen. Dazu müsste man Qualitätsverträge mit den Therapeuten verhandeln. Die Verträge würden festlegen, was gemacht und wie die Qualität gemessen wird.»
Wo es viele Therapiepraxen hat, sollen die Kassen vom Vertragszwang befreit werden, fordert sie. Doch das ist für Fankhauser von Physioswiss ein Tabu. Das Problem sei gerade umgekehrt: «Wir sprechen von einer Unterversorgung von Physiotherapie, und zwar schon in relativ vielen Gebieten.»
Tarife sind in der Diskussion
Der Krankenkassenverband Curafutura seinerseits ortet Handlungsbedarf bei den Tarifen der Therapeuten. Diese wurden vor drei Jahren angehoben und haben ebenfalls zum Kostenwachstum beigetragen. Jetzt sind die Tarife erneut in Revision. Die Physiotherapie, die bisher unter dem politischen Radar gesegelt ist, wird nun zum Thema.