Infrastrukturprojekte kommen gegenwärtig oft schleppend voran. Im 19. Jahrhundert war das anders: Nach der industriellen Revolution in Grossbritannien hielt der Eisenbahnbau auch hierzulande Einzug. Die ersten Gleise wurden ab 1847 gebaut, dreizehn Jahre später war das Mittelland auf den Hauptachsen erschlossen.
Die grossen Städte waren bereits miteinander verbunden, als es darum ging, auch die Täler zu erschliessen. Lokalbahnen waren geboren. Als eine der ersten jene ins Appenzellerland. Herisau war in den 1860er-Jahren eine florierende Textilstadt mit 8500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Allerdings: Es dauerte über eine Stunde, um zum nächsten Bahnhof zu gelangen. Zu lange für die Industriellen, sie wollten deshalb vorwärtsmachen.
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Bild 1 von 2. Seit 150 Jahren fahren die Züge der Appenzeller Bahnen durch das Appenzellerland ... Bildquelle: ZVG/Appenzeller Bahnen.
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Bild 2 von 2. ... heute etwas moderner als früher. Bildquelle: Keystone/Gian Ehrenzeller.
Das Ziel: «Die Ortschaft Herisau an den Welthandel anschliessen», sagt Eisenbahnhistoriker Albert Heer. Es ging unter anderem auch darum, die für die Textilindustrie benötigte Kohle nach Herisau zu liefern.
Ein Arbeiter musste einen Tageslohn einsetzen, um von Winkeln nach Appenzell zu kommen.
Am 12. April 1875 war es dann so weit: Ein Zug der Appenzeller Bahnen fuhr zum ersten Mal von St. Gallen-Winkeln Richtung Herisau. Es war die zweite Meterspurbahn, die entstand – eine schmale Spur, um die Höhenmeter zu überwinden, aber auch um mit normalen Bahnwagen darauf fahren zu können.
Damit übernahm die Bahn eine Pionierrolle für Lokalbahnen in der Schweiz. Was in der Ostschweiz gebaut wurde, diente zum Beispiel auch als Vorbild für die Rhätische Bahn, die heute durch fast jedes Bündner Tal rattert.
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Bild 1 von 2. Vor 150 Jahren fuhr der erste Zug von St. Gallen-Winkeln nach Herisau. Im Hintergrund: der Gübsensee in St. Gallen. Bildquelle: ZVG/Appenzeller Bahnen.
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Bild 2 von 2. Ein Bahnbillett von 1904 kostete 2.75 Franken. Bildquelle: ZVG/SLG Otto Bauer.
Über die Monate und Jahre wurde die Strecke immer weiter durchs Land verlängert, innerhalb weniger Monate bis Urnäsch, einige Jahre später bis nach Appenzell. Noch waren die Tickets allerdings teuer. Albert Heer erklärt: «Ein Arbeiter musste einen Tageslohn einsetzen, um von Winkeln nach Appenzell zu kommen.»
Die Säntisbahn, die nie fuhr
Die Visionen im Appenzellerland gingen weit über das heute Denkbare hinaus: Eine Bahn auf den Säntis sollte es werden; 1887 erteilte der Bundesrat die Konzession dafür. Das Teilstück von Appenzell nach Wasserauen wurde nach jahrelangem Hickhack gebaut. Wegen des Ersten Weltkriegs fuhren weniger Leute mit der Bahn, woraufhin die Einnahmen zurückgingen.
Die geplante Schmalspurbahn zum Gipfel auf über 2500 Meter über Meer, die streckenweise als Zahnradbahn gebaut werden sollte, kam nie zustande. Das Projekt scheiterte an der Wirtschaftlichkeit.
Moderne Zeiten, andere Herausforderungen
Die Zeiten haben sich geändert: Was früher für die Industrie aufgebaut wurde, um Kohle und Stoffe zu transportieren, nutzen heute hauptsächlich Menschen. Menschen, die zur Arbeit pendeln, oder Touristinnen und Touristen.
Heute befördern die Appenzeller Bahnen (AB) auf 120 Gleiskilometern jährlich 6.8 Millionen Passagiere. Gerade die sehr touristischen Strecken funktionieren manchmal nicht kostendeckend. AB-Direktor Thomas Baumgartner sagt: «Wir müssen den Pendleranteil erhöhen. Mit mehr Pendlerinnen und Pendlern erhöhen wir die Auslastung.»
Der zweite Punkt: «Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen und werden die erste vollautomatische Überlandbahn in Betrieb nehmen», sagt Baumgartner. Die zwei Kilometer lange Zahnradbahn von Rheineck SG nach Walzenhausen AR soll in zwei Jahren ohne Personal betrieben werden.
Auch nach 150 Jahren Bahngeschichte werden im Appenzellerland immer noch neue Kapitel in Sachen Lokalbahnen geschrieben. Der Pioniergeist ist ungebrochen.