«Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, hat keinen Verstand.» Dieses Bonmot stammt aus dem vorletzten Jahrhundert, aber scheint nichts an Aktualität eingebüsst zu haben. Beispiel gefällig? Filippo Leutenegger (70).
Der heutige Zürcher FDP-Stadtrat und langjährige FDP-Nationalrat war als junger Mann ein bekennender Öko-Aktivist. Er sagt, er sei eigentlich ein Grüner der ersten Stunde gewesen.
Ich war einer der ersten der grünen Welle.
Leutenegger hat in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren gegen AKW gekämpft. Seine journalistische Karriere begann der spätere «Arena»-Moderator und SRF-Chefredaktor bei der linken Wochenzeitung WOZ, welche er sogar mitgegründet hat.
Von der SVP zu GLP und SP
Einen politisch noch weiteren Weg hat David Widmer gemacht. Der 35-Jährige wählt heute zwischen Grünliberalen und SP, war aber noch vor wenigen Jahren ein glühender SVP-Anhänger.
Der St. Galler ist auf dem Land aufgewachsen, in Untereggen. Er war von den Ideen und Köpfen der SVP begeistert. Vor allem die Themen Ausländer und Unabhängigkeit haben den Teenager damals interessiert. Widmer war gegen einen UNO- und einen EU-Beitritt und gegen Ausländer. Aber auch die Vertreter der SVP faszinierten ihn.
Brunner, Blocher und Maurer als Vorbilder
Allen voran Toni Brunner, Christoph Blocher und Ueli Maurer. Widmer war mit seiner Meinung nicht alleine. Auch seine Schul- und Berufslehrkollegen waren auf SVP-Kurs.
Nicht aber seine Familie. Sie war von den Ideen ihres Sohnes wenig begeistert. Aber dies tat seiner Faszination für die SVP keinen Abbruch. Im Gegenteil, sagt Widmer. Mit der SVP-Haltung habe man provoziert, nicht nur zu Hause, sondern auch in der Berufsschule.
Widmer hält deshalb wenig vom Spruch, dass Junge links tickten und mit dem Alter immer rechter würden. Anders sieht es Filippo Leutenegger. Von dem Zeitpunkt an, wo man selber Geld verdienen müsse, sei man stärker interessiert daran, was mit den Steuergeldern passiere, sagt der Freisinnige.
Das Beständige wird mit dem Alter wichtiger
Politikwissenschaftler wie auch Persönlichkeitspsychologen sind sich einig, dass junge Menschen eher etwas wagen, Bestehendes infrage stellen, auch nicht so festgefahren sind. In der zweiten Lebensphase wird das Stabile, Beständige, dann aber immer wichtiger. Auch werden finanzpolitische Fragen mehr in den Fokus gestellt. Beispielsweise Steuern. Also man wird konservativer, bewahrender.
Allerdings sind die Karrieren wie jene von Leutenegger oder Widmer eher die Ausnahme. Man bewege sich eher innerhalb einer Partei vom linken zum rechten Flügel, meint Politikwissenschaftler Michael Erne. So unterstütze man in jungen Jahren vielleicht extrem linke Ansichten und fühle sich einer Juso oder AL nahe, später sei man dann eher im Realo-Flügel einer SP zu finden oder vielleicht bei der GLP, sagt Erne.
Es gibt nicht nur links und rechts
Es gebe aber nicht nur eine Dimension, links oder rechts, sondern eben auch konservativ versus liberal, sagt Erne und verweist auf die Wahlhilfeplattform «Smartvote».
Smartvote – die politisch neutrale Wahlhilfeplattform
Auf dieser Online-Wahlplattform können Wählerinnen und Wähler ihre Positionen mit denjenigen von Kandidierenden vergleichen. Dabei zeigt das Wahlprofil nicht nur, wie links oder rechts der jeweilige Kandidat, die Kandidatin ist, sondern auch, wie liberal oder konservativ. Diese beiden Dimensionen machen das Smartvote-Profil aus.
Die Wende kommt mit der Blocher-Abwahl
Zurück zu unserem Protagonisten David Widmer. Der heute 35-jährige St. Galler kann sich genau daran erinnern, wann er begann, an «seiner» SVP zu zweifeln. Es war bei der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat im Herbst 2007.
Den Stil, wie die SVP Blochers Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf behandelt habe, habe er nicht goutiert, sagt Widmer.
Gibt es denn keine anständige SVP?
Hinter den Inhalten der SVP sei er aber nach wie vor gestanden. «Gibt es denn keine anständige SVP», hat sich der damals 20-jährige Ostschweizer gefragt.
Mit der Zeit stellte Widmer aber auch die Inhalte der SVP infrage. So war sie ihm zu wenig ökologisch und zu wenig sozial. Widmer begann nach seiner Lehre ein Studium als Primarlehrer (das er inzwischen erfolgreich abgeschlossen hat), in dem er sich vermehrt mit Selbstreflexion auseinandersetzte. So habe er begonnen, sich und seine politischen Ansichten zu hinterfragen und habe sich je länger, je mehr von der SVP abgewandt.
Grün – aber nicht links
Auch Filippo Leutenegger hat einen grossen Wandel durchgemacht – von der linken Wochenzeitung WOZ zum stramm freisinnigen Politiker. Er meint allerdings, er sei eigentlich seinen Überzeugungen mehr oder weniger treu geblieben. Er sei zwar grün gewesen, aber nicht links.
Denn die grüne Bewegung sei damals in den 1970er-Jahren weniger ideologisch gewesen als heute. Noch heute sei er Atomkraft-kritisch.
Ich wäre nie in die Atomkraft eingestiegen.
Er wäre gar nie in diese Technologie eingestiegen, sagt Leutenegger. Aber nun, da man drin sei, bringe es nichts, kopflos aus der Atomkraft auszusteigen. Man sollte sie jetzt möglichst lange laufen lassen, solange die Atomkraftwerke sicher seien. Denn das Hauptproblem seien ja die atomaren Abfälle. Dieses Problem sei auch nicht gelöst, wenn man die AKW vorzeitig abschalte, ist Leutenegger überzeugt.
Zunehmend Mühe hatte Leutenegger auch mit der ideologischen Haltung der linken Wochenzeitung WOZ. Er stieg deshalb aus und schlug dann eine Karriere beim Schweizer Fernsehen (heute SRF) ein. National bekannt wurde Leutenegger als «Arena»-Moderator. Er war bei Politikern gleichermassen geschätzt und gefürchtet. Bevor Leutenegger SRF verliess, war er Chefredaktor (1998 bis 2002).
Mit ‹rechts› kann ich nicht viel anfangen. Mir geht es um eine liberale Lösung.
Kaum war seine journalistische Karriere beendet, kandidierte er 2003 als FDP-Nationalrat und wurde gewählt. Die FDP entspreche seinem liberalen Naturell, begründet Leutenegger seine Wahl.
Als Rechtspolitiker will er sich nicht bezeichnen. Er könne mit dem Begriff «rechts» nicht viel anfangen. Ihm gehe es um liberale Lösungen.
Widmer hat weniger Mühe mit dem Begriff «links». Er sei für pragmatische Lösungen. Deshalb wähle er nicht ganz links, sondern irgendwo zwischen grünliberal und sozialdemokratisch.
Nach wie vor wichtig seien ihm ökologische Themen. Hier müssten jetzt endlich mal «Nägel mit Köpfen» gemacht werden, sagt Widmer. Sollte es beim Bekämpfen des Klimawandels weiterhin nicht vorwärtsgehen, so schliesse er nicht aus, dass er sich noch weiter nach links orientieren könnte, sagt Widmer. Es hört sich wie eine Drohung an.