Die 65-jährige Marianne Bodenmann-Zanetti ist schon seit über 30 Jahren Hausärztin im zürcherischen Wetzikon. Gerne würde sie irgendwann aufhören. Doch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, ist schwierig.
Um dem Hausärztemangel etwas entgegenzusetzen, hat sie zusammen mit der Vereinigung Ärztinnen Schweiz ein Projekt initiiert, das sich Steigbügel nennt. Das Projekt wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung unterstützt und soll Ärztinnen und Ärzte, die nicht mehr auf dem Beruf arbeiten, zurück in die Praxen bringen.
Kleine Hilfe für Wiedereinstieg nötig
Aus Umfragen wisse man, dass 10 bis 14 Prozent der Absolventen keine Facharztausbildung machen und aussteigen, sagt Bodenmann. Wieso sie das Projekt Steigbügel getauft hat, erklärt sie so: «Wir möchten Ärztinnen, aber auch Ärzten ermöglichen, den Eintritt ins Berufsleben wieder zu finden, wenn sie eine Familienpause gemacht haben. Wir halten ihnen den Steigbügel.»
Denn Wiedereinsteigerinnen bräuchten Hilfe, glaubt die Hausärztin. Eine Rückkehr ohne Unterstützung sei möglich – aber erfahrungsgemäss sehr schwierig. Im Projekt Steigbügel werden die Rückkehrerinnen zwar in das reguläre Praxis-Ausbildungsprogramm der inneren Medizin eingegliedert.
Wir möchten ihnen ermöglichen, den Eintritt ins Berufsleben wieder zu finden, wenn sie eine Familienpause gemacht haben. Wir halten ihnen den Steigbügel.
Doch das Programm wird leicht angepasst: Interessenten können ihr Arbeitspensum während des einjährigen Steigbügel-Programms auf 50 Prozent beschränken und werden zusätzlich gecoacht. Das sei wichtig, sagt die Initiantin: «Mit dem Coaching können auch Leute wiedereinsteigen, die den Mut wieder finden müssen, die ärztliche Tätigkeit wieder aufzunehmen.»
Einjährige Einführung nach Babypause
Die ärztliche Tätigkeit wiederaufnehmen will zum Beispiel Justyna Wieladek. Ab Januar 2019 wird die Mutter einer Tochter in einer Gemeinschaftspraxis in Winterthur von Kollegen in den Beruf der Hausärztin eingeführt. Die gebürtige Polin hat mehrere Jahre in Spitälern in Deutschland und der Schweiz gearbeitet. Die letzten anderthalb Jahre aber machte sie eine Babypause.
Für das Steigbügeljahr in der Hausarztmedizin habe sie sich sofort begeistern lassen, erzählt Wieladek, denn: «Es ist für mich eine grosse Chance, den Bereich der Hausarztmedizin kennenzulernen. Und ich hoffe, ich werde mich von der Hausarztmedizin anstecken lassen.» Vor der einjährigen Ausbildung hat sie Respekt. «Ich hoffe einfach, dass man mir an Anfang Zeit und Raum lässt, so dass ich erkennen kann, wo ich stehe, sowohl was das Wissen als auch was das Selbstwertgefühl anbelangt», sagt die 36-Jährige.
Viel mehr Jobangebote als Kandidatinnen
Leider ist Wieladek eine von wenigen, die bis jetzt ein Steigbügeljahr in Angriff nehmen. Dies, obwohl die Nachfrage nach den Wiedereinsteigerinnen riesig ist. Projektleiterin Marianne Bodenmann hat über 100 Jobangebote von Praxen, Spitälern und gar Notfallstationen erhalten. Viel mehr, als es Kandidaten gibt.
Dafür hat die Hausärztin zwei Erklärungen: Zum einen die Frauen selbst. Es sei leider so, «dass gewisse Frauen eine absolut massgeschneiderte Lösung suchen und gerne weniger als 50 Prozent arbeiten möchten», erklärt die Projektinitiantin. «Aber das ist einfach nicht möglich. Das ist für die Praxen nicht interessant und die Kandidatinnen sind überfordert.»
Probleme mit Bewilligung und Anerkennung
Bodenmann erzählt aber auch von bürokratischen Hürden. Jeder Kanton mache andere Auflagen. Im Kanton St. Gallen warte eine Kandidatin seit Monaten auf die Bewilligung. Einer anderen werde ein Teil der Ausbildung nicht anerkannt, weil ihn die Ärztin in einem Spital in Afrika absolviert habe.
Das dreijährige Pilotprojekt Steigbügel ist vorerst auf Hausärzte beschränkt. Ist es erfolgreich, ist eine Ausdehnung auf andere Fachgebiete denkbar.