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Prozess wegen Terrorverdacht Die Saat des «Islamischen Staats» im Greyerzerland

Mehrere Frauen sollen den IS unterstützt haben, jetzt kommen sie vor Gericht. Sie sind Teil einer extremistischen Szene im Kanton Freiburg.

Im Hintergrund der verschneite Moléson, davor das historische Schloss und in der Fromagerie schöpft man die frische Double Crème direkt aus der Milchkanne: Das Städtchen Bulle erfüllt Postkartenklischees. Terrorunterstützerinnen, hier?

Das fragt sich so mancher im Greyerzerland seit dem Oktober 2020. Um fünf Uhr morgens war die Polizei angerückt, zeitgleich an mehreren Orten. Die Bundesanwaltschaft (BA) meldete: «Terrorbekämpfung: Hausdurchsuchungen und Festnahmen im Kanton Freiburg».

Nun beginnt sich das Bild zu klären: Erste Beschuldigte müssen sich in Kürze vor Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten. Ab Donnerstag eine Frau, heute 28 Jahre alt. Der Vorwurf: Verstoss gegen das sogenannte IS-Verbotsgesetz und Gewaltdarstellung.

IS-Propaganda für die Kollegin im Nachbardorf

Die beschuldigte Frau ist gemäss der Anklageschrift aus Bulle. An mehrere Personen aus ihrem Umfeld soll sie Videos, die den IS verherrlichen, verschickt haben. Darin seien auch Gewaltszenen zu sehen, wie das Abtrennen von Händen, die Tötung von Menschen durch Köpfen oder Erschiessen. Zudem Videos, die von arabischen Sprechgesängen, Naschids, unterlegt sind, in denen etwa die «Löwen des Islamischen Staats» gehuldigt werden.

IS-Propaganda schickte sie gemäss Anklage auch an eine Kollegin im Nachbardorf. Auch sie ist angeklagt, kommt in zwei Wochen vor Gericht. Die 33-jährige Kollegin solle über einen Gruppenchat mit 38 Mitgliedern IS-Propaganda verbreitet haben, heisst es in der Anklageschrift. Unter anderem teilte sie einen Text über eine IS-Scharfschützin, die in Syrien «Ungläubige» erschiesse.

«Die Rolle der Frauen wird unterschätzt»

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Géraldine Casutt ist Soziologin der Universität Freiburg, sie befasst sich vertieft mit Frauen im Dschihadismus. Im Interview mit SRF sagt sie: «In der Tat wurde die Rolle der Frauen im Allgemeinen unterschätzt, wahrscheinlich auch, weil die IS-Ideologie die Gewaltbereitschaft bei Frauen eigentlich verbietet. Wir müssen jedoch berücksichtigen, dass Gewalt nur ein Mittel von vielen ist, um diese Ideologie zu verbreiten. Die Frauen sind also genauso wichtig wie die Männer, nur wird ihre Gefährlichkeit nicht auf die gleiche Weise ausgedrückt.»

Casutt warnt zudem davor, den IS abzuschreiben, nur weil er über kein Territorium in Syrien und Irak mehr verfüge. «Das heisst nicht, dass es keinen Dschihadismus mehr gibt.» Man befinde sich in einer Phase der Umgestaltung. IS-Anhängerinnen und -Anhänger würden sich wahrscheinlich derzeit mehr aufs Soziale fokussieren, Beziehungen pflegen, sich stiller verhalten – und in dieser Zeit neue Rekruten suchen, um sich auf eine nächste Phase vorzubereiten, die wieder aktiver, sprich gewalttätiger, werden könnte, sagt Casutt.

Die nun angeklagten zwei Frauen waren bei den Razzien im Oktober 2020 nicht festgenommen worden. Doch sie gehören gemäss Recherchen von SRF zum Umfeld. Konkret: sie sind die Ehefrauen von damals festgenommen Männern.

Im Zentrum der mutmasslichen IS-Unterstützerszene aus Greyerz stehen also Ehepaare. Die beiden Männer waren mehrere Monate in Untersuchungshaft, heute sind sie wieder auf freiem Fuss, wie die BA bestätigt. Die Strafverfahren, bei denen es auch um den Verdacht der Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation geht, sind noch hängig.

Greyerzer-Gruppe umfasst sechs Beschuldigte

Die Gerichtsverhandlung ab morgen gegen die erste der Frauen bildet also den Auftakt zu einer Reihe von Prozessen um die vermutete IS-Szene im Greyerzerland.

Insgesamt geht es um mindestens sechs Beschuldigte: Gegen eine weitere Frau und ein Mann aus der Region sind ebenfalls Strafverfahren hängig. Sie waren bei den Razzien 2020 festgenommen worden. Die sechs Beschuldigten sind zwischen 26 und 33 Jahre alt, sie sind Staatsbürger Kosovos oder Mazedoniens, einer ist schweizerisch-kosovarischer Doppelbürger. Recherchen von SRF weisen zudem auf ein weiteres Umfeld hin, das die IS-Ideologie zumindest gebilligt haben dürfte.

Stellungnahmen gegenüber SRF lehnen die angefragten Angeklagten ab. Aus ihrem Umfeld ist zu vernehmen, dass sich die Familien ungerecht behandelt fühlten. Die Vorwürfe seien übertrieben – vielleicht habe der eine oder die andere einen Fehler gemacht, aber gefährlich seien sie nicht, heisst es. Aus den zugänglichen Akten ist zu entnehmen, dass es tatsächlich nicht um konkrete Anschlagspläne ging. Aber: angebliche Unterstützung einer Terrororganisation, Verbreitung von Propaganda, Gewaltdarstellungen.

Schweiz aktuell, 22.03.2023, 19 Uhr

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