Kommen Flüchtlinge in die Schweiz, sind sie oft traumatisiert und brauchen psychologische Hilfe. Doch diese sei zurzeit knapp, sagt Sara Michalik, Fachpsychologin für Psychotherapie und Geschäftsleiterin des Vereins Psy4Asyl, im Interview.
SRF News: Wie schätzen Sie die Situation von Geflüchteten in der Schweiz ein?
Sara Michalik: Die Situation ist zurzeit nicht einfach. Durch die neue Fluchtwelle kam es zu einer Verdichtung in den Asylunterkünften und es gibt weniger Angebote für die Begleitung von Geflüchteten. Viele Flüchtlinge waren drei bis fünf Jahre auf der Flucht. In dieser Zeit waren sie Bedrohungen ausgesetzt und lebten unter prekärsten Bedingungen.
Flüchtlinge, die traumatisiert in der Schweiz ankommen, bräuchten Ruhe.
Diese Erlebnisse können zu Traumafolgestörungen führen. Internationale Studien gehen davon aus, dass 40 bis 60 Prozent der Flüchtlinge unter einer solchen Störung leiden. Das können Ängste, Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen sein.
Mit welchen Problemen kommen die Asylsuchenden zu Ihnen?
Es können Belastungen aus dem Heimatland sein, Erlebnisse auf der Flucht oder auch die Lebenssituation hier in der Schweiz. Beispielsweise der unsichere Aufenthalt, die engen Räume in den Asylunterkünften. Flüchtlinge, die traumatisiert in der Schweiz ankommen, bräuchten Ruhe. Doch das haben sie nicht, denn sie leben oft mit hundert anderen in Grossunterkünften zusammen.
Wie helfen sie den Betroffenen?
Wir unterstützen sie dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Wichtig ist, dass wir ihnen erklären, warum sie Albträume haben und dass dies eine normale körperliche Reaktion ist. Es geht auch darum, den Flüchtlingen zu helfen, mit ihrer Lebenssituation umzugehen. Wir erarbeiten mit ihnen Techniken, mit denen sie sich besser beruhigen können. Denn viele der Geflüchteten leiden unter Schlafstörungen. Eine Frau sagte mir kürzlich: «Ich lerne wieder, einem Menschen zu vertrauen.» Auch darum geht es.
Wissen Sie von Fällen, in denen Geflüchtete Suizid begehen wollten?
Ja, Suizidgedanken sind unter den Flüchtlingen mit psychischen Problemen sehr verbreitet. Es ist nicht so, dass sie sterben wollen, sondern dass sie die jetzige Situation nicht aushalten. Wenn man bedenkt, welche unsichere Zukunftssituation sie haben und was sie erlebt haben, ist dies nachvollziehbar.
Die Hoffnung zu haben, dass sich die Lebenssituation verbessert, ist ein wichtiger Schutzfaktor.
Mein Job ist es, ihnen aufzuzeigen, dass wir einen Weg finden werden. Ein junger Mann, den ich vor zwei Jahren betreut habe, hat heute eine ganz andere Lebensqualität. Diese Hoffnung zu haben, dass sich die Lebenssituation verbessert, ist ein wichtiger Schutzfaktor.
Was müsste sich in der Schweiz ändern, dass solchen Geflüchteten besser geholfen wird?
Es braucht mehr niederschwellige Angebote. Also nicht nur Therapiehilfen, sondern auch mehr Unterstützung und Begleitung im Alltag sowie einen besseren Zugang zu Freizeitmöglichkeiten und Bildung. Die Flüchtlinge sind nicht nur traumatisiert, sondern bringen viele Ressourcen mit, von denen wir als Bevölkerung profitieren können. Aber dafür müssen wir investieren, in dem wir gute Lebensbedingungen schaffen.
Wenn wir ihnen Hürden aufbauen anstatt zu helfen, hat dies längerfristige Auswirkungen mit Folgekosten.
Muss ein Flüchtling in seiner Berufslehre mit vier Personen ohne Pult oder Lernmöglichkeiten in einem Zimmer leben, ist dies kontraproduktiv. Wenn wir ihnen Hürden aufbauen, anstatt zu helfen, hat dies längerfristige Auswirkungen mit Folgekosten. Während ein traumatisierter Jugendlicher, den ich 2017 als Therapeutin unterstützte, heute als Fachmann Gesundheit EFZ arbeitet und unser angeschlagenes Gesundheitssystem mitträgt.
Das Gespräch führte Cindy Schneeberger.