Wer im Gefängnis sitzt und eine psychische Krankheit hat, dem steht eine stationäre therapeutische Behandlung zu. So will es das Gesetz. Die Umsetzung ist allerdings oft schwierig. Immer wieder fehlen in den Schweizer Gefängnissen die entsprechenden Plätze.
Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung?
Ein Beispiel: der Kanton Wallis. Erst vor kurzem haben die Walliser Gerichte Alarm geschlagen. Sie schreiben in ihrem Jahresbericht von einem «ernsthaften Problem» und von einer «krassen Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips». Dass verurteilte Täter in normalen Gefängnissen ihre Strafe absitzen und keine angemessene Pflege erhalten, könnte laut Walliser Gerichten Konsequenzen haben.
Das Worst-Case-Szenario: Weil die Grundrechte der Verurteilten nicht respektiert würden, müssten Straftäter freigelassen werden. «Dies würde darauf hinauslaufen, gefährliche Straftäter, die nie behandelt worden sind, in Freiheit zu entlassen, was ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstellt», heisst es im Bericht.
Ist das Angstmacherei? Nein, sagt die Strafrechtsexpertin Marianne Heer. «Die Walliser Gerichte tragen damit einfach unserem Strafgesetzbuch Rechnung.» Das sehe ausdrücklich vor, dass psychisch Kranke zu behandeln seien und das möglichst umgehend.
Die Schweiz wurde von Strassburg schon mehrfach gerügt.
Zu wenig geeignete Gefängnisplätze für Verurteilte mit psychischen Problemen seien aber ein gesamtschweizerisches Problem, sagt Marianne Heer. «Die Schweiz wurde deswegen von Strassburg schon mehrfach gerügt», so die Strafrechtsexpertin. «Es ist ein klarer Verstoss gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.»
Zu wenig Plätze in der Westschweiz und im Tessin
Wie ist aktuell die Situation in den Schweizer Gefängnissen? Das Schweizerische Kompetenzzentrum Justizvollzug SKJV verweist auf Zahlen vom April und schreibt: «Eine derartige Überbelegungssituation besteht gegenwärtig nicht.»
Allerdings lasse sich anhand der Daten nicht eindeutig beantworten, ob es in der Schweiz genügend Plätze und die richtigen Angebote für Straftäterinnen und Straftäter gebe, die Massnahmen brauchen.
Vor allem aber in der Westschweiz und im Tessin gebe es Probleme. «Was das lateinische Konkordat betrifft, so fehlen ohne Zweifel Plätze für massnahmebedürftige Straftäterinnen und Straftäter», schreibt das Kompetenzzentrum Justizvollzug. Genaue Zahlen zu nennen – also wie viele Plätze konkret fehlen –, sei aber schwierig.
Und das SKJV schreibt auch: «In der Praxis kann es erfahrungsgemäss vorkommen, dass mangels geeigneter Platzangebote insbesondere besonders schwierige oder gefährliche Straftäter vorübergehend oder zum Teil auch für längere Zeit nicht in einem für sie optimalen Behandlungssetting untergebracht werden.»
So wie im Wallis. Schon mehrfach wurde der Kanton verurteilt, weil Straftäter mit psychischen Erkrankungen in den Walliser Gefängnissen nicht angemessen betreut wurden.
Mehr Plätze zu schaffen, hat für den Kanton aber keine Priorität. «Wir legen den Fokus im Moment auf den Ausbau von Pramont, dort sind Minderjährige und junge Erwachsene inhaftiert», sagt der zuständige Walliser Regierungsrat Fréderic Favre. Für manche Straftäter im Rhonetal heisst das: Sie müssen auch weiterhin auf eine Therapie warten.