Geisterhäuser, ausgestorbene Beizen und Waschmaschinen, die vor sich hin rosten: Das gibt es in Mitholz im Kandertal immer mehr. Fünf Familien haben den Ort bereits verlassen, bei anderen läuft aktuell die Umsiedlung.
Doch jetzt gibt es für die insgesamt 51 betroffenen Personen ein neues Problem. Mangels Geld kann das Verteidigungsdepartement VBS den Leuten keine Häuser und keine Grundstücke mehr abkaufen.
Zudem unterstützt es sie trotz schriftlicher Kaufzusagen nicht beim Umzug aus der Gefahrenzone des 1947 explodierten Munitionslagers. Denn die dafür für das laufende Jahr vorgesehen 50 Millionen Franken sind blockiert, wie Recherchen von «Schweiz aktuell» zeigen.
Die Katastrophe von Mitholz 1947
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Bild 1 von 10. Nach der Schreckensnacht in Mitholz zeugen Trümmer und beschädigte Häuser von der Katastrophe. Es ist die Nacht vom 19. auf den 20. Dezember 1947, als sich in der Gemeinde Kandergrund im Berner Oberland eine der grössten Explosionskatastrophen der Schweiz ereignet. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 10. In einem Munitionslager der Schweizer Armee kommt es zu einer Reihe schwerer Explosionen. Rund 4000 von 7000 Tonnen eingelagerter Munition explodieren oder verbrennen. Im Bild: Die zugemauerten Stolleneingänge des ehemaligen Munitionslagers. Bildquelle: VBS.
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Bild 3 von 10. Einer der Stollen nach der Explosion. Bildquelle: VBS.
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Bild 4 von 10. Die Felswand, in der sich das Munitionsdepot befindet, stürzt ein, wobei sich etwa 250'000 Kubikmeter Gestein lösen. Bildquelle: VBS.
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Bild 5 von 10. Neun Menschen sterben, mehrere werden verletzt. 200 Personen sind obdachlos. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 10. Die Explosionen sind so gewaltig, dass 40 Häuser zerstört oder beschädigt werden. Der Sachschaden wird auf 100 Millionen Franken geschätzt, was heute 490 Millionen Franken entspricht. Bildquelle: VBS.
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Bild 7 von 10. Im Kirchlein Kandergrund findet die Trauerfeier für die Opfer der Explosionskatastrophe statt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 10. Die Katastrophe löst eine Solidaritätswelle in der Bevölkerung aus. Im Schulzimmer in Kandergrund türmen sich bald Spenden und Pakete aller Art (Foto vom Januar 1948). Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 10. Aufräumen nach der Katastrophe: Bahnarbeiter reparieren die Gleise. Die Bahnstrecke ist tagelang unterbrochen und die Station Blausee-Mitholz der Lötschbergbahn zerstört. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 10. Wohin mit den Munitionsrückständen? Um den Gefahren durch überalterte Munitionsbestände zu begegnen, beschloss der Bundesrat im März 1948, 2500 Tonnen Artilleriemunition im Thuner-, Brienzer- und Vierwaldstättersee zu versenken. Zusätzlich wurden rund 1500 Tonnen von Rückständen aus Mitholz im Thunersee versenkt. Bildquelle: VBS.
Wie kann es sein, dass dem VBS urplötzlich die Geldquellen versiegen? Hintergrund ist ein jüngster Entscheid der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SiK-N). Die SiK hat entschieden, den Entscheid zum 2.6-Milliarden-Kredit zur Munitionsräumung in Mitholz aufzuschieben.
VBS muss erneut Alternativen zur Räumung prüfen
Die Extrarunde kann ein Jahr dauern und hat Folgen: Die vom VBS eingeplanten Gelder für die Mitholzerinnen und Mitholzer fliessen nicht mehr. Denn das VBS muss nochmals die Varianten «Überdeckung» und «Verkapselung» des Munitionslagers prüfen.
Es ist also nicht mehr sicher, dass es überhaupt je zu einer Räumung des Munitionslagers kommt – bei der die Bewohnenden das Gebiet während Jahren verlassen müssen. Dann wären auch die Liegenschaftskäufe unnötig.
Wir dürfen die Liegenschaften nicht mehr kaufen. Jetzt gibt es für alle Beteiligten eine ganz schwierige Situation.
Der Projektleiter Räumung Mitholz beim VBS, Adrian Goetschi, ist konsterniert: «Wir dürfen die Liegenschaften nicht mehr kaufen. Jetzt gibt es für alle Beteiligten eine ganz schwierige Situation. Weil man nicht mehr weiss, was eigentlich richtig wäre.»
Entsetzen in Mitholz ist gross
Bestürzt über den Zahlungsstopp ist der Gewerbler Markus Rupp, der in Mitholz Kühlanlagen produziert. Er will weiter unten im Tal einen Ersatzneubau realisieren. Man müsse jetzt Bauland kaufen, Verträge abschliessen, Planungskosten bezahlen. «Jetzt heisst es einfach, es gibt kein Geld mehr – wir wissen überhaupt nicht, ob wir jemals Geld bekommen. Das kann es doch nicht sein. Wir bezahlen die Zeche hier.»
Die IG Mitholz kritisiert den Entscheid der SiK aufs Schärfste. Dadurch würden die Betroffenen wieder in den «zermürbenden Zustand der Unsicherheit» versetzt. Man sei sich über die vollständige Räumung des Munitionslagers längst einig gewesen.
Die IG fordert die SiK-N darum auf, ihren Entscheid zu korrigieren. «Niemand weiss jetzt, woran man ist. Wenn kein Geld kommt, können wir nicht weiterfahren», sagt Karl Steiner, Präsident der IG Mitholz
Nachkredit als Lösung?
Was sagt die Sik? Eine offizielle Stellungnahme gibt es nicht. Kommissionsmitglied und SVP-Nationalrat Erich Hess will mit einem Nachtragskredit in der Höhe von 50 Millionen Franken ab Sommer wieder Liegenschaftskäufe ermöglichen.
Trotz akutem Geldmangel sei es trotzdem der richtige Entscheid gewesen, die Mitholz-Räumung zu sistieren. «Es geht schliesslich um 2600 Millionen Franken.»