Rahmenabkommen mit der EU
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Bundesrat verlangt «Klärung» strittiger Punkte
Der Bundesrat will bei Lohnschutz und Co. den Dialog mit der EU suchen – und die Begrenzungsinitiative der SVP bodigen.
Monatelang hüllte sich der Bundesrat in Schweigen darüber, wie er sich zum Rahmenabkommen mit der EU stellt. Nun hat er entschieden, das institutionelle Abkommen vorläufig nicht zu unterzeichnen. Er beurteilt das Verhandlungsergebnis zwar insgesamt positiv, verlangt aber «Klärungen».
Die Einschätzung von SRF-Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt
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«Bundesrat hofft auf ein Wunder»
Der Bundesrat versucht mit einer Mischung aus Offenheit und Strenge gegenüber der EU aus der verfahrenen Situation herauszukommen. Mit dem vorliegenden Abkommenstext, das macht der Bundesrat im Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erstmals klar, werde man in der Schweiz keine Mehrheit zusammenbekommen. Die genannten Forderungen in Bezug auf den Lohnschutz sind aber äusserst wolkig formuliert, damit die EU nicht gleich zum Zweihänder greift. «Die Beibehaltung des Lohnschutzes auf dem heutigen Niveau» sei wesentlich, sagt der Bundesrat. Was das konkret bedeutet, hat er nicht präzisieren wollen.
Der in dieser Frage entscheidende Gewerkschaftsbund bleibt dabei: Die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne seien «nicht verhandelbar». Für die EU ihrerseits sind die bestehenden Massnahmen inakzeptabel. Dieser diametrale Widerspruch bleibt bestehen. Der Bundesrat spielt auf Zeit und hofft auf ein Wunder. Und solche geschehen bekanntlich äusserst selten.
Kernbotschaft des gemeinsamen Auftritts von Aussenminister Ignazio Cassis, Justizministerin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin: Wenn eine Lösung bei den strittigen Punkten gefunden ist, wird der Bundesrat das Rahmenabkommen unterschreiben.
Die strittigen Punkte beim Abkommen
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- Wie der Lohnschutz auf heutigem Niveau gehalten werden kann – darauf pochen insbesondere die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften.
- Wie mit staatlichen Beihilfen umgegangen werden soll – etwa die Kantone wollen, dass ihre Banken weiterhin mit Staatsgarantie geschäften dürften.
- Ob und wie die Unionsbürgerrichtlinie übernommen wird – diese würde EU-Bürgern in der Schweiz unter anderem schnellere Sozialhilfe bringen.
Die Konsultationen der letzten Monate mit Parteien und Verbänden hätten gezeigt, dass gewisse Punkte noch geklärt werden müssten, so Cassis. Die meisten Teilnehmenden hatten einem institutionellen Abkommen grundsätzlich zugestimmt, jedoch Nachverhandlungen verlangt.
EU sieht positive Entwicklung
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Die EU-Kommission gibt sich nach den Äusserungen des Bundesrates zum Rahmenabkommen positiv. «Dies erscheint als eine insgesamt positive Entwicklung», schreibt eine Sprecherin der EU-Kommission am Freitag.
Man werde nun das Schreiben sorgfältig prüfen, heisst es weiter. Mit dem Schreiben ist der Brief gemeint, den der Bundesrat am Freitag EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte zukommen lassen.
«Es braucht hier eine beiderseits zufriedenstellende Lösung», so Cassis. Der spezielle bilaterale Weg der Schweiz müsse respektiert werden. Der Aussenminister erklärt weiter, beide Seiten hätten Interessen an einer raschen Lösung.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin sekundierte: «Wir haben ein gutes Abkommen, das den Erwartungen der Wirtschaft entspricht.» Es brauche aber «Präzisierungen»: «In der heute vorliegenden Form kann das Abkommen vom Bundesrat nicht unterzeichnet werden.»
Was, wenn Brüssel stur bleibt?
Auf Journalisten-Frage, ob Nachbesserungen beim Abkommen realistisch seien, sagte Cassis: «EU-Kommissar Johannes Hahn hat mir telefonisch bestätigt, dass die EU immer gesagt hat, dass sie für Klarstellungen bereit ist.» Ob es Änderungen am Abkommenstext benötige, sei Bestandteil der politischen Gespräche, die geführt werden müssten: «Die EU wird aber selber kommunizieren, was ihre Position ist.»
Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit würde nichts weniger als einen Schweizer Brexit bedeuten.
Dem Bundesrat gehe es um Qualität und nicht um Tempo beim Rahmenabkommen: «Wir wollen eine gute Lösung. Wenn diese bis morgen vorliegt, werden wir unterschreiben.» Ansonsten werde man versuchen, die offenen Fragen zu klären – dies könne auch nach dem Abtritt des scheidenden Kommissionspräsidenten Juncker sein.
Der Bundesrat erwarte von der EU, dass nun auch die Börsenäquivalenz verlängert werde, sagte Justizministerin Keller-Sutter. «Denn der Bundesrat hat alles gemacht, was möglich ist» und habe beispielsweise am 19. Mai bei zwei europapolitischen Abstimmungen (Waffenrichtlinie und Steuerreform) erfolgreich für ein Ja gekämpft.
«Klärungen» statt «Nachverhandlungen»
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Den Begriff «Nachverhandlungen» vermeidet der Bundesrat in seinem Schreiben, das er am Mittwoch an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geschickt hat. Die Kommission hatte nach Abschluss der Verhandlungen Ende letzten Jahres Nachverhandlungen kategorisch ausgeschlossen. In dem Schreiben des Bundesrats ist denn auch von «Klärungen» und «Präzisierungen» die Rede.
Zudem lehnt der Bundesrat die Begrenzungsinitiative der SVP ab. Diese will die Personenfreizügigkeit mit der EU kündigen. Der Bundesrat hätte im Falle einer Annahme der Initiative zwölf Monate Zeit, eine einvernehmliche Lösung mit Brüssel zu finden. Dies beurteilt der Bundesrat als unmöglich.
Die Personenfreizügigkeit sei eine Prinzipienfrage für die EU, erklärte Justizministerin Keller-Sutter. Schon bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative habe sich gezeigt, dass die EU zu keinerlei Zugeständnissen in der Frage bereit sei.
Eine 12-Monate-Frist bis zur einseitigen Kündigung der Personenfreizügigkeit sei illusorisch: «Das würde einen ungeordneten Austritt aus den bilateralen Abkommen bedeuten.» Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit sei «nichts weniger als ein Schweizer Brexit.»
Die Initiative gefährde den bilateralen Weg und die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz, so Keller-Sutter: «Die Initiative spielt mit dem Feuer.»
Leidensweg Rahmenabkommen
2002 – 2008 | Ein Rahmenabkommen ist im Bundeshaus immer wieder Thema. Es wird aber noch nicht verhandelt.
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2008 | Die EU fordert ein Rahmenabkommen – wegen zunehmenden Unterschieden zwischen dem EU-Recht und den bilateralen Abkommen. |
| Der Bundesrat wartet zu.
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2012
| Brüssel droht mit dem Ende des bilateralen Wegs. Kurz später gibt der Bundesrat grünes Licht für Verhandlungen. |
2014
| Die offiziellen Verhandlungen beginnen, verlaufen aber zäh, wegen der gleichzeitigen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. |
| Aussenminister Didier Burkhalter spricht dennoch immer wieder von einem baldigen Durchbruch.
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April 2017 | Bundespräsidentin Doris Leuthard und EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker kündigen eine Vereinbarung auf Ende 2017 an. |
| Der Bundesrat wartet weiter zu.
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November 2017 | Juncker gibt in Bern einen neuen Termin vor: April 2018. |
Kurz darauf | Die EU anerkennt die Schweizer Börse nur befristet für ein Jahr. Begründung ist die Hinhaltetaktik der Schweiz.
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Frühling 2018 | Der damalige Bundespräsident Alain Berset präsentiert die neue Strategie und erklärt die Lohnschutzmassnahmen zu roten Linien für die Verhandlungen. In einem Interview gibt Juncker der Schweizer Regierung eine neue Frist bis Ende 2018 vor. |
Dezember 2018 | Der Bundesrat präsentiert das Abkommen – lässt aber offen, ob er es unterzeichnen werde – und schickt es zur Konsultation an die Parteien und die Wirtschaft.
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7. Juni 2019 | Der Bundesrat entscheidet, seinen europapolitischen Kurs und damit den bilateralen Weg fortzusetzen. Darum hält er prinzipiell am Institutionellen Abkommen (InstA). Verlangt werden aber Präzisierungen beim Lohnschutz, bei staatlichen Beihilfen und bei der Unionsbürgerrichtlinie. |
| Der Bundesrat setzt für eine Einigung über die strittigen Punkte mit der EU keinen Termin. |