Das Rahmenabkommen könnte Opfer eines klassischen Zangenangriffs werden. Während sich die linke, gewerkschaftliche Seite vehement gegen die befürchtete Schwächung der flankierenden Massnahmen wehrt, gehen viele Bürgerliche wegen der Unionsbürgerrichtlinie auf die Barrikaden.
Mitte-Ständerat Pirmin Bischof bringt den Widerstand auf den Punkt: «Die Unionsbürgerrichtlinie ist inakzeptabel. Sie würde einen eigentlichen Dammbruch bringen, was den Zugang zu Aufenthaltsrecht und Sozialhilfe betrifft und würde finanziell unabsehbare Konsequenzen mit sich bringen.»
Die EU fordert von der Schweiz schon seit Jahren die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Die Schweiz wehrt sich ebenso vehement dagegen. Mit der Richtlinie kämen EU-Bürgerinnen bereits nach fünf Jahren zu einem Daueraufenthaltsrecht – und nicht wie bis anhin nach zehn Jahren; und es hätten auch mehr EU-Bürgerinnen und Bürger Zugang zur Sozialhilfe.
Sozialhilfe auf Lebenszeit
Das sei eben ein Dammbruch, so Bischof: «Das würde heissen, dass EU-Angehörige – ohne eine Stelle zu haben – Zugang zur Sozialhilfe bekämen. Wenn sie in der Schweiz eine Stelle haben und ihnen im ersten Jahr gekündigt wird, würde das sechs Monate Zugang bringen – ab dem zweiten sogar einen lebenslänglichen Zugang. Das ist heute nicht vorgesehen.»
Die Unionsbürgerrichtlinie ist letztlich überschaubar in der Kostenfolge.
Das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) hat zwar juristische Analysen zur Unionsbürgerrichtlinie verfasst. Es hat aber nie konkret berechnet, wie teuer eine Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie tatsächlich wäre, das heisst, wie viel dies die Sozialhilfe zusätzlich kosten würde.
Bloss ein «Phantomschmerz»?
Das weiss auch Bischof. Weshalb Peter Grünenfelder, der Direktor des bürgerlichen und europafreundlichen Thinktanks Avenir Suisse, erwidert: «Ich glaube, die Unionsbürgerrichtlinie ist der Phantomschmerz der Schweizer Europapolitik. Man bildet sich etwas ein, das eigentlich gar nicht dazugehört. Die Unionsbürgerrichtlinie ist letztlich überschaubar in der Kostenfolge.»
Avenir Suisse hat deshalb überschlagsmässig die finanziellen Auswirkungen berechnet. «Wenn eine Unionsbürgerrichtlinie käme, lägen die maximalen Zusatzkosten – so wie wir das berechnet haben – für den Steuerzahlenden zwischen 28 und 75 Millionen Franken pro Jahr», sagt Grünenfelder.
Die Unionsbürgerrichtlinie (...) würde einen eigentlichen Dammbruch bringen.
Der Bund selber kommentiert diese Zahlen nicht und für Bischof spielen sie keine grosse Rolle. Es geht ihm und vielen Bürgerlichen um Grundsätzliches: «Die Schweiz hat mit der EU ein Personenfreizügigkeitsabkommen. Das betrifft die Arbeit in der Schweiz oder der EU. Die EU will jedoch ein allgemeines Aufenthalts- und Sozialhilferecht. Das kommt nicht infrage.»
Richtlinie kein Thema im Entwurf
Bemerkenswert ist, dass die Unionsbürgerrichtlinie im vorliegenden Entwurf des Rahmenabkommens mit keinem Wort erwähnt ist. Weil sich die beiden Seiten nicht einigen konnten, liessen sie sie einfach unerwähnt. Aber die Schweiz befürchtet, dass die EU die Richtlinie trotzdem über das vorgesehene Schiedsgericht einklagen könnte.
Dieses Szenario will der Bundesrat kategorisch ausschliessen und fordert entsprechende Zusagen bei den laufenden Nachverhandlungen. Allerdings sollen sich die beiden Seiten bisher nicht angenähert haben. Damit wäre der bürgerliche Widerstand gegen das Rahmenabkommen garantiert – obwohl es keine offiziellen Zahlen zu den finanziellen Folgen gibt.