Martin Selmayr ist als Generalsekretär der Europäischen Kommission der mächtigste EU-Beamte. Als einflussreichster Strippenzieher im Brüsseler Machtapparat wird er bewundert, aber auch gefürchtet Im Interview mit der «Rundschau» spricht er exklusiv über das schwierige Verhältnis zwischen der EU mit der Schweiz: «Die EU ist durch den Brexit insgesamt geeinter geworden, sie ist dadurch auch härter nach aussen geworden.»
Den Vorwurf, die Kommission in Brüssel gebe sich der Schweiz gegenüber kompromisslos, weist Selmayr zurück. Im Gegenteil: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe in den Verhandlungen über das Rahmenabkommen zahlreiche Zugeständnisse gemacht, die innerhalb der EU bisweilen auf Unverständnis gestossen seien.
In der Schweiz herrsche die Vorstellung, die EU-Kommission in Brüssel trete in Verhandlungen härter auf, als die Mitgliedsstaaten dies tun würden. Doch die EU-Kommission verhandle stets mit einem Mandat und in Absprache mit den Regierungen in Berlin, Paris oder auch Osteuropa. «Die Kommission hat in diesen Fragen keine eigenen Interessen, unsere Interessen sind die gebündelten Interessen unserer Mitgliedsstaaten.» Die «harten Hunde» sässen zum Beispiel in Berlin, in Brüssel hingegen die «Weicheier», sagt Selmayr.
Mehr Härte mit neuer EU-Kommission
Nach dem Ende Oktober geplanten Rücktritt von Jean-Claude Juncker werde voraussichtlich eine jüngere Generation von Politikern an die Schalthebel der Macht in Brüssel kommen. Diese wolle die EU durch eine stärkere Abgrenzung nach aussen einen. In diesem Sinne hatte sich jüngst etwa Manfred Weber geäussert. Weber ist Kandidat der grössten EU-Partei EVP für die Juncker-Nachfolge.
Der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» sagte Weber, er werde gegenüber der Schweiz andere Saiten aufziehen, falls er die EU-Wahlen gewinne und danach zum neuen Präsidenten der EU-Kommission gekürt werde: «Wenn Schweizer auf dem Frankfurter Flughafen landen, stellen sie sich in die Schengen-Schlange und nicht zu den EU-Ausländern», sagte Weber: «Daheim schimpfen sie dann wieder auf die EU.»
Bundesrat soll für Mehrheit sorgen
Für die scheidende EU-Kommission sei klar: Das Rahmenabkommen mit der Schweiz könne nicht nach- oder neuverhandelt werden. Allenfalls könnten Klarstellungen und Präzisierungen des Texts vereinbart werden, diese würden am Inhalt des Abkommens aber nichts ändern. Zumal dem Abkommen auch der zuständige Schweizer Bundesrat, Ignazio Cassis, per Handschlag zugestimmt habe.
Die Kommission erwarte von der Schweizer Regierung, dass diese sich bis Ende Juni für die Ratifizierung des Rahmenabkommens stark mache: «Es ist Aufgabe jeder Regierung, auf ihrer Seite für die Mehrheiten zu sorgen, die erforderlich sind, um einen Deal durchzusetzen», sagt Selmayr. Die EU-Kommission habe das Rahmenabkommen bereits mit allen Mitgliedsstaaten besprochen, «insbesondere mit den Nachbarstaaten der Schweiz».