Es ist die grösste Reform des Schweizer Gesundheitswesens seit Jahren: Die Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen soll künftig nach einem einheitlichen Schlüssel geregelt werden. Die Kantone sollen sich neu an ambulanten und stationären Kosten beteiligen. Das Ziel: die Anreize zu den günstigeren ambulanten Behandlungen verstärken. 14 Jahre hat die Politik an diesem Kompromiss gefeilt. Weil die Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben, stimmt das Volk am 24. November darüber ab. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nimmt Stellung zu den Chancen der Reform und zu den wichtigsten Kritikpunkten der Gegner.
SRF: Weshalb bringt ein einheitlicher Finanzierungsschlüssel einen grösseren Anreiz für ambulante Behandlungen?
Elisabeth Baume-Schneider: Bis jetzt bezahlen die Krankenkassen 100 Prozent der ambulanten Behandlungen. Sie haben also den falschen Anreiz, Patientinnen und Patienten stationär behandeln zu lassen. Das wird korrigiert mit diesem Schlüssel. Am Anfang soll die neue Aufteilung der Kosten nur für ambulante und stationäre Behandlungen gelten, ab 2032 auch für die Pflege.
Welche Kosteneinsparungen erhoffen Sie sich?
Es geht nicht nur ums Sparen. Sondern auch darum, die Gesundheitskosten besser zu kontrollieren. Damit soll verhindert werden, dass man jedes Jahr wieder Aufschläge von sechs, acht oder wie in gewissen Kantonen zehn Prozent bei den Krankenkassenprämien sieht. Ich kann nicht versprechen, dass die Prämien sinken werden. Aber die Prämien werden weniger schnell steigen als ohne den neuen Finanzierungsschlüssel.
Zum Spareffekt, der durch die Verschiebung von ambulant zu stationär entstehen würde, gibt es ganz unterschiedliche Zahlen. Die reichen von 0 bis 480 Millionen Franken. Was stimmt?
Man wird schauen müssen, wie die Partner das organisieren. Es wird nicht von einem Tag zum anderen ganz anders werden. Aber wenn es für die Krankenkassen positive Anreize gibt, wird es auch interessanter sein, zu sagen: diese Operation kann man ambulant machen. Aber ich kann nicht sagen, wie wir sparen. Aber wenn man nichts macht, das weiss ich, dann kostet es mehr.
Der Spareffekt im ambulanten Bereich wird viel grösser sein als die Mehrkosten in der Pflege.
Die Gewerkschaften und die SP, Ihre Partei, befürchten im Gegenteil, dass die Kosten für die Prämienzahlerinnen und -zahler steigen, weil die Krankenkasse ab 2032 auch in der Pflege mehr Kosten übernehmen muss. Liegen die einfach falsch?
Es ist richtig, wenn man sagt, dass es mehr kostet, wenn die Pflege dazu kommt. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass das Kostenvolumen im ambulanten Bereich viermal höher ist als in der Pflege. Sprich: Der Spareffekt im ambulanten Bereich wird viel grösser sein als die Mehrkosten in der Pflege.
Die Gegner befürchten auch, dass die Pflegenden leiden würden, weil der Druck, rentabel zu arbeiten, noch stärker zunehmen würde. Weil die Krankenkassen mehr Macht erhalten. Unterschätzen Sie das?
Nein, ich unterschätze das absolut nicht. Aber es ist mir sehr wichtig, immer wieder zu sagen, dass die aktuelle Vorlage nichts ändern wird an den Verantwortlichkeiten der Krankenkassen, der Kantone und des Bundes. Es ist falsch, zu sagen, dass die Krankenkassen plötzlich viel mächtiger würden.
Wenn die Vorlage so schrecklich wäre für das Personal, wären die Pflegerinnen und Pfleger dagegen.
Die Arbeitsbedingungen des Personals sind ein anderes, sehr wichtiges Thema. Das Volk hat die Pflegeinitiative angenommen. Diese müssen wir umsetzen. Aber wenn die neue Vorlage so schrecklich wäre für das Personal, dann wären die Pflegerinnen und Pfleger dagegen. Ihr Verband hat aber Stimmfreigabe beschlossen.
Das Gespräch führte Klaus Ammann.