Am Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen teilt eine Software die neuen Fälle automatisch jenen Richterinnen und Richtern zu, die gerade am wenigsten zu tun haben. Nur sachliche Gründe wie Muttersprache oder Ferienabwesenheit werden zusätzlich berücksichtigt.
Das klingt vernünftig und fair. Doch in den letzten Jahren wurde Kritik laut. Forschende der Universität Bern und Zürich stellten 2021 fest, dass trotz Software viele Fälle manuell zugeteilt wurden. Medien sprachen von Manipulationen. Auch die Politik befasste sich mit den Vorwürfen.
Parteizugehörigkeit weiter kein Kriterium
Nun hat das Bundesverwaltungsgericht reagiert. Es hat seine Praxis geändert und ein neues Reglement erlassen. Dieses regelt neu für das ganze Gericht, wie Fälle zugeteilt werden. Man nennt das Spruchkörperbildung. Wer manuell etwas an der Zuteilung ändert, muss einen Grund angeben aus einer vorgegebenen Liste.
Rechtsprofessorin Daniela Thurnherr hat das neue Reglement im Auftrag des Gerichts überprüft. Sie findet, das Gericht habe seine Hausaufgaben gemacht. «Mit der Anpassung des Geschäftsreglements, die in Kürze in Kraft treten wird, regelt das Bundesverwaltungsgericht die Spruchkörperbildung transparent, umfassend sowie auch in Übereinstimmung mit den verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben.»
Einer der grössten Kritiker der Richterzuteilung am Bundesverwaltungsgericht ist Anwalt Gabriel Püntener. In der Vergangenheit wurden seine Asylfälle überdurchschnittlich häufig von SVP-Richtern beurteilt. Püntener hat dabei meist verloren. Im Jahr 2023 hat er eine Veränderung gespürt. Die Richter würden inzwischen gleichmässiger zugeteilt. Er findet es lobenswert, dass das Gericht die Regeln überarbeitet hat. «Es wird sicher schwieriger werden, die Bestimmung des Spruchkörpers im konkreten Einzelfall einfach zu manipulieren.»
Nach wie vor können Richter der gleichen Partei in einem Einzelfall entscheiden.
Etwas fällt aber auf: Die Parteizugehörigkeit ist auch in Zukunft kein Kriterium für die Zuteilung. Oder anders gesagt: Wenn die Software einen Fall drei Richterinnen zuteilt, die der gleichen Partei angehören, ist keine Korrektur vorgesehen. Püntener bedauert das: «Das wurde sogar explizit nicht geregelt. Das heisst, nach wie vor können Richter der gleichen Partei in einem Einzelfall entscheiden. Und es ist ja bekannt, dass diese Richter entsprechend ihrer Parteilinie entscheiden.»
Unabhängigkeit als richterliche Pflicht
Die Gutachterin Daniela Thurnherr hat kein Problem festgestellt. Die Parteizugehörigkeit könne berücksichtigt werden, müsse aber nicht. Richterinnen und Richter seien ausschliesslich dem Recht verpflichtet, auch wenn der Zufallsgenerator einen Fall drei Richterinnen der gleichen Partei zuteilen würde, sollte ihrer Meinung nach manuell nichts geändert werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Parteizugehörigkeit im neuen Reglement derweil bewusst nicht berücksichtigt. Die Richterinnen und Richter seien nur dem Recht verpflichtet und keine Parteivertreter, sagt das Gericht auf Anfrage. Diese Unabhängigkeit sei nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.