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Rekordtiefe Sozialhilfequote Brummende Wirtschaft – immer weniger Sozialhilfebeziehende?

Noch nie waren in der Schweiz so wenige Menschen auf Sozialhilfe angewiesen wie im vergangenen Jahr. 2023 haben nur 2.8 Prozent der Bevölkerung – knapp eine Viertelmillion Menschen – mindestens einmal Sozialhilfe bezogen, wie das Bundesamt für Statistik meldet. Das ist der tiefste Stand seit Einführung der Sozialhilfe­empfänger­statistik vor fast 20 Jahren. Dass sich die aktuelle gute Lage auf dem Arbeitsmarkt auch in der Sozialhilfe niederschlägt, ist laut dem Soziologen Benedikt Hassler sicherlich eine gute Nachricht.

Benedikt Hassler

Soziologe

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Benedikt Hassler forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) unter anderem zu den Themen Arbeitsintegration und Sozialhilfe.

SRF News: Bedeutet das, dass weniger Menschen von Armut betroffen sind, wenn es Arbeit gibt?

Benedikt Hassler: In der Wissenschaft und im allgemeinen Diskurs unterscheiden wir in der Regel zwischen zwei Gründen für den Sozialhilfebezug: einerseits die individuellen Gründe, andererseits die strukturellen Gründe. In den letzten Jahren waren oft die individuellen Gründe im Fokus. Zum Teil wurde die Missbrauchsdebatte relativ intensiv geführt oder es wurde gesagt: Wenn sich die Leute anstrengen, dann klappt es mit der Arbeitsintegration und sonst halt nicht.

Wenn es auf dem Arbeitsmarkt gut läuft, ist es auch für die Leute einfacher, wieder einen Job zu finden.

Die Wissenschaft war da immer schon ein bisschen skeptisch. Und die aktuellen Zahlen zeigen, dass genau diese arbeitsmarktliche Lage – also die strukturellen Bedingungen – sehr bedeutsam in Bezug auf die Sozialhilfequote ist. Also ja, wenn es auf dem Arbeitsmarkt gut läuft, ist es für die Leute auch einfacher, wieder einen Job zu finden, und für die Sozialarbeitenden ist es einfacher, ihnen einen Job zu vermitteln.

Wie stehen die Chancen, dass diese Zahlen noch weiter sinken, wenn die Wirtschaft weiterhin brummt?

Allmählich ist man an einem Punkt angelangt, an dem es schwierig ist, diese Zahlen noch weiter zu senken. Gerade in der Sozialhilfe sind die Sozialdienste mit sehr vielen Personen konfrontiert, die beispielsweise starke gesundheitliche Einschränkungen haben. Für diese Personen ist es auch unter den aktuellen arbeitsmarktlichen Bedingungen sehr schwierig, eine Arbeitsstelle zu finden. Das hat etwa damit zu tun, dass es schwieriger geworden ist, eine Invalidenrente zu bekommen, so dass Menschen trotz gesundheitlicher Einschränkungen im Bereich der Sozialhilfe sind.

Man ist an einem Punkt, an dem es schwierig ist, die Sozialhilfezahlen weiter zu senken.

Laut der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) gibt es viele Bedürftige, die auf Sozialhilfe verzichten, obwohl sie Anspruch hätten. Da geht es ums soziale Stigma. Wie hat sich das Image von Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern in den letzten Jahren verändert?

Wenn wir uns die Sozialhilfestatistik anschauen, betrachten wir nur jene Personen, die Sozialhilfe tatsächlich beziehen. Studien zeigen jedoch, dass zusätzlich zwischen einem Viertel und einem Drittel der Berechtigten kein Gesuch stellen – trotz Anspruch. Gründe dafür sind oft Unwissenheit, Scham oder die Angst vor Stigmatisierung. Bei Ausländerinnen und Ausländern kommt häufig die Sorge hinzu, dass der Bezug von Sozialhilfe den Aufenthaltsstatus oder die Niederlassungsbewilligung gefährden könnte.

Was bedeutet das für die langfristige soziale Integration, wenn die Menschen aus Angst auf die Sozialhilfe verzichten?

Diese Personen leben unter dem sozialen Existenzminimum. Das bedeutet, dass sie sich irgendwo einschränken müssen, sei es beim Einkauf von Nahrungsmitteln oder bei der Freizeitgestaltung. Irgendwo müssen sie Abstriche machen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Das kann dramatische Auswirkungen haben.

Das Gespräch führte Amir Ali.

Heute Morgen, 17.12.2024, 6 Uhr ; 

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