Nicht nur in St. Gallen ist man überrascht, dass bei Geothermie-Anlage im Sittertobel ein Erdbeben ausgelöst worden ist. Das St. Galler Verfahren galt als risikoarm. «Die Meldung kam unerwartet», sagte Kathy Riklin, CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung für Geothermie.
Problemfälle und Musterbeispiele
Der Vorfall sei ein Rückschlag für die Geothermie in der Schweiz. «Ich erwarte nun genaue Abklärungen, warum es zum Erdbeben gekommen ist», sagte die CVP-Nationalrätin. Die grossen Projekte in der Schweiz seien durch Bund und Städte finanziert. Darum sei es wichtig, mit den eingesetzten Geldern vorsichtig umzugehen.
Erschütterungen haben auch anderenorts mulmige Gefühle ausgelöst. Vor St. Gallen hat es bereits in Basel gebebt. Und im deutschen Landau. In Staufen in Süddeutschland gab es Risse in Häusern, weil sich der Boden anhob. Dasselbe Problem kennt Lochwiller im Elsass.
Andererseits habe sich zum Beispiel bei einem bereits aktiven Geothermiewerk im elsässischen Soultz-sous-Forêts gezeigt, dass es nach der Inbetriebnahme zu keinen Erdbeben mehr gekommen sei. Auch ein Geothermiewerk in Unterhaching in Bayern läuft ohne grössere Probleme.
Andere Energiequellen mit höherem Risiko
Gut und offen müsse nun informiert werden. Ansonsten drohe, den Rückhalt in der Bevölkerung für die Geothermie zu verlieren. Doch Riklin relativiert auch: «Die Risiken der Geothermie sind abschätzbar, schwache Erdbeben und Gasaustritte beim Bohren sind möglich», sagte Riklin.
Diese Risiken gelte es gegen die Risiken anderer Stromquellen abzuwägen: «Eine Energieproduktion ohne Risiken gibt es nicht. Es kann zu einer Atomkatastrophe kommen, ein Staudamm kann brechen.» Im Vergleich mit einem Atomunfall sei das Risiko bei der Geothermie immer noch klein.
Erdbeben «akzeptieren»
In eine ähnliche Richtung hatte sich bereits Toni Kraft im Juni gegenüber «Einstein» geäussert. Der Seismologe des Schweizerischen Erdbebendiensts sagte: Wenn Geothermie langfristig eine Rolle spielen soll, käme man nicht um spürbare Erdbeben herum.
Mit Erdbeben verbinde man Bilder, wie man sie aus dem Fernsehen kenne, so Kraft. Zerstörte Häuser, Tote. Die Erschütterungen bei der Geothermie seien aber mit solchen eines vorbeifahrenden Lastwagens vergleichbar. «Wahrscheinlich muss man bei der Nutzung der Geothermie lernen, solche Phänomene zu akzeptieren und damit umzugehen.»
Erdwärme-Anlagen «sinnvoll»
Ein grosses Potenzial für die Geothermie sieht Kathy Riklin fernab der grossen Projekte. Kleinanlagen seien geeignet. Bereits heute sind Einzel-Erdwärmesondenanlagen die häufigste Nutzungsart von Geothermie in der Schweiz. Aus rund 400 Metern Tiefe wird Erdwärme gewonnen, meist zum Heizen von Einfamilienhäusern.
Zwischen 2008 und 2011 wurden laut Bundesamt für Energie rund 1'400'000 Meter Erdwärmesonden pro Jahr abgeteuft. «Der Vorteil der Erdwärmesondeanlagen ist, dass die Wärme direkt fürs Heizen genutzt werden kann. Das ist sinnvoller, als Erdöl zu verbrennen», sagte Riklin. «In der Schweiz gibt es immer noch 800'000 Ölheizungen, hier sehe ich ein grosses Potenzial für die Geothermie.»