Fachfrau Gesundheit, Coiffeuse, Kinderbetreuerin: Sie gelten bis heute als typische Frauenberufe. Bei den Männern sind es beispielsweise der Maurer, Polymechaniker oder Metzger. Stereotypen halten sich hartnäckig – auch bei der Berufswahl. Aber warum gibt es eigentlich Frauen- und Männerbranchen? Warum entscheiden sich junge Menschen für Berufe, die mit einer bestimmten Geschlechterzugehörigkeit verbunden sind?
Für die Berufswahl ist nicht zuletzt das Alter entscheidend, sagt Daniel Reumiller. Er leitet das Berufsberatungs- und Informationszentrum in Bern und er ist auch Präsident der Schweizerischen Konferenz für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung.
«Man muss sich in einer Zeit für die Berufslehre entscheiden, in der die Geschlechtsidentität sehr wichtig ist», erklärt Reumiller. «Für einen Jugendlichen im Alter von 13, 14 Jahren ist es nicht immer ganz einfach zu sagen: Ich wähle jetzt einen typischen Frauenberuf.» Das gelte umgekehrt auch für Teenagerinnen.
Veraltete Berufsvorstellungen
Als typische Männerbranche gilt zum Beispiel die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Gemäss dem Branchenverband Swissmem liegen die Frauenanteile bei den technischen Berufen wie Polymechaniker oder Konstrukteur zwischen 3 und 12 Prozent. Zu tief, findet Sonja Studer. Sie gehört zur Geschäftsleitung von Swissmem und ist für die Bildung in der Branche zuständig.
Das einseitige Geschlechterverhältnis hat aus ihrer Sicht auch mit veralteten Berufsvorstellungen zu tun. «Früher war die Arbeit in der Industrie mit körperlicher Schwerarbeit verbunden.» Fabriken galten als dunkel, schmutzig und laut. Das sei mittlerweile nur noch die Ausnahme, sagt Studer. «Die Menschen arbeiten heute meist in einem Hightechumfeld, es ist sauber, aufgeräumt und hoch spannend. Doch die Vorstellung in den Köpfen bleibt die alte.»
Der Begriff ‹Frauenbranche› wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Mit alten Vorstellungen und alte Rollenbildern hat auch die Kinderbetreuung zu kämpfen. Im Berufsprofil Betreuung mit der Fachrichtung Kinder sind heute rund 85 Prozent der Lernenden junge Frauen.
Von Interessen statt Rollenbildern leiten lassen
Maximiliano Wepfer vom Schweizerischen Verband für Kinderbetreuung, Kibesuisse, sagt, dass dies auch damit zu tun habe, dass die Kinderbetreuung eben immer wieder als «Frauenbranche» bezeichnet wird. So würden sich Stereotype verfestigen. «Das schreckt junge Männer ab, in eine sogenannte Frauenbranche einzusteigen. Der Begriff wird so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.»
Dennoch: Der Anteil an jungen Männern in der Kinderbetreuung ist heute höher als noch vor 20 Jahren. Und auch in der MEM-Branche sind Frauen heute häufiger anzutreffen als früher. Verschwinden würden die Geschlechterdifferenzen auch in Zukunft nicht, sagt Berufsbildungsexperte Reumiller. Es liege in der Natur, dass Jungen und Mädchen unterschiedliche Interessen hätten. Doch der Experte rät, sich bei der Berufswahl nicht von Rollenbildern, sondern von den eigenen Interessen leiten zu lassen.