Seit Ausbruch der Corona-Pandemie kommt es zwischen Wissenschaft und Politik immer wieder zu Reibungen. So kritisieren Virologinnen und Epidemiologen regelmässig offen oder hinter vorgehaltener Hand, die Behörden würden zu wenig strenge Massnahmen treffen.
Einer dieser Wissenschafter, der Berner Epidemiologe Christian Althaus, gab am Wochenende seinen Rücktritt aus der Taskforce bekannt. Er sagt, die Politik müsse endlich lernen, der Wissenschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Für Caspar Hirschi liegt das Problem tiefer: Die Politik habe es verpasst, in Normalzeiten die Vorbereitungen zu treffen, damit in der Krise ein gegenseitiges Vertrauen vorhanden ist.
SRF News: Die Politik nehme die Wissenschaft zu wenig ernst – hat Christian Althaus recht mit dieser Kritik?
Caspar Hirschi: Ich glaube nicht, dass die Wissenschaft zu wenig ernst genommen wird. Dafür hat sie gerade auch in den Medien einen viel zu grossen Platz inne. Ich denke vielmehr, dass zwischen Politik und der Corona-Taskforce ein grundsätzliches Misstrauen herrscht. Und das ist eigentlich das grosse Problem.
Woran machen Sie dieses Misstrauen fest?
Die Politik hat grosse Mühe, auf Krisenmodus umzustellen – auf Bundesebene wie auf kantonaler Ebene. Besonders der Bundesrat und das BAG haben in Normalzeiten nicht die Vorbereitungen getroffen, damit man in der Krise das Vertrauen schaffen könnte zwischen Experten und Politikern. Das heisst, dass man sich gut kennt, dass man die Abläufe eingespielt hat und dass man auch weiss, welche Kompetenzen die Experten haben – und welche die Politik. Da gab es von Beginn an in der Coronakrise ein riesiges Gerangel.
Die Politik war also nicht auf die Zusammenarbeit mit Fachleuten vorbereitet?
Es gab eine Kommission für Pandemievorbereitung, die dem BAG unterstand. Diese Kommission wurde, wie Daniel Koch später offen eingeräumt hat, komplett vergessen. Das ist schon eine grosse Unterlassungssünde, die dann dazu geführt hat, dass die Wissenschaft selber tätig geworden ist und die Corona-Taskforce ins Leben gerufen hat.
Die Taskforce ist mit über 70 Mitgliedern ein viel zu grosser Tanker, um die Politik effizient beraten zu können.
Die Taskforce hat die Aufgabe, die wissenschaftliche Forschung zu bündeln, Projekte aufzugleisen und gleichzeitig die Politik zu beraten. Aber das sind völlig unterschiedliche Aufgaben, die zum Teil zueinander im Konflikt stehen. Und vor allem ist die Taskforce mit über 70 Mitgliedern ein viel zu grosser Tanker, um die Politik effizient beraten zu können – insbesondere, wenn die einzelnen Mitglieder dann noch in den Medien auftreten und unterschiedliche Meinungen vertreten.
Welche Rolle sollte Ihrer Ansicht nach die wissenschaftliche Beratung bei der Corona-Politik spielen?
Es ist zentral, dass die Wissenschaft einen direkten Draht zur Politik hat und dass die Empfehlungen, die die Experten der verschiedenen Disziplinen abgeben, sehr ernst genommen werden. Auch sollte die Politik begründen müssen, wenn sie sich anders verhält, als es die Wissenschaft empfiehlt. Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Da wird häufig laviert, und das frustriert natürlich Experten.
Gleichzeitig Berater und Kritiker der Regierung zu sein, das geht auf Dauer eigentlich nie.
Sie stecken in einem Dilemma: Entweder können sie die Beratungen fortsetzen, oder sie äussern Kritik in den Medien. Aber dann ist das Vertrauen eigentlich zerstört. Der Rücktritt ist die richtige Konsequenz, wenn man das Gefühl hat, dass man das Ohr der Politik nicht mehr findet. Aber die Rolle zu kombinieren, gleichzeitig Berater und Kritiker der Regierung zu sein, das geht auf Dauer eigentlich nie.
Das Gespräch führte Daniel Hofer