Das öffentliche Leben kehrt zurück. Die Kinder sind wieder in der Schule. Gleichzeitig verbreiten immer mehr Menschen Mythen über das Coronavirus. Sie gehen in vielen Ländern auf die Strassen und zweifeln die Massnahmen ihrer Regierungen an. Warum so etwas vorkommt und wie häufig das ist, erklärt der Experte für Verschwörungstheorien, Professor Roland Imhoff.
SRF: Warum sind so viele Verschwörungstheorien während dieser Coronakrise entstanden?
Roland Imhoff: Es ist allgemein bekannt, dass in Krisenzeiten mehr Verschwörungstheorien auftauchen als in normalen Zeiten. Das hat mehrere Gründe. Einer ist der, dass eine weltumspannende Verschwörung von vielen Menschen als eine angemessen grosse Erklärung angesehen wird für so ein Ereignis wie eine Pandemie, während die Mutation eines Tier-Virus als zu klein, zu popelig erachtet wird und vielleicht auch zu zufällig wirkt.
Da bin ich ja erleuchtet, da bin ich etwas ganz Besonderes!
Und da wären wir beim zweiten Grund: Wenn etwas Grosses zufällig wirkt, können wir nicht viel mehr machen, als mit der Schulter zu zucken. Verschwörungs-Narrative versprechen uns aber Möglichkeiten der Kontrolle, wir müssen nur den Schuldigen das Handwerk legen, und schon ist der Spuk vorbei.
Kommt daher die Frage «cui bono», wem nützt es? Denn mit dieser Frage findet man ja immer einen Schuldigen. Wie erklärt man diesen Mechanismus?
Verschwörungs-Narrative bestehen häufig darin, Muster in mehr oder weniger zufällige Konfigurationen hineinzuinterpretieren und diese dann kausal zu verknüpfen. Also im Sinne von: Der deutsche Politiker Jens Spahn war in den USA. Jens Spahn ist Gesundheitsminister, und Jens Spahn hat Bill Gates getroffen. Also wurde Jens Spahn deutscher Gesundheitsminister, weil er Bill Gates getroffen hat. Die Fachliteratur zeigt, dass Menschen, die Verschwörungstheorien zuneigen, in der Regel leicht in zufälligen Mustern Kausalität erkennen.
Wertet man sich auch selber auf, wenn man an Verschwörungstheorien glaubt?
Es geht tatsächlich um die Aufwertung der Person, weniger um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.
Verschwörungs-Narrative sind inhärent bedrohlich, weil sie Gewalt legitimieren.
Denn in dem Moment, wo ich als Individuum eine weltumspannende Verschwörung der Mächtigsten durchschaue, während alle anderen naive Schlafschafe sind und sich an der Nase herumführen lassen, da bin ich ja erleuchtet, da bin ich etwas ganz Besonderes. Und das mag auch der Grund sein, warum so viele Prominente aus der dritten Reihe auf den Zug aufspringen.
Nimmt das die Politik im Moment zu gelassen? Sind solche Verschwörungstheorien eine echte Bedrohung?
Die Psychologen-Antwort wäre sowohl als auch. Verschwörungs-Narrative sind natürlich inhärent bedrohlich, weil sie Gewalt legitimieren und gesellschaftlichen Kitt unterminieren. Die Frage ist aber, ob wir es mit einer rapiden Zunahme an Zustimmung zu solchen Narrativen zu tun haben. Die wenigen repräsentativen Daten, die wir dazu aus Deutschland haben, suggerieren: Das ist nicht der Fall. Die vermehrt auftretenden Verschwörungs-Narrative sind nicht zuletzt auch der medialen Aufmerksamkeits-Ökonomie geschuldet, also die Kameras, die draufhalten, weil ihnen das berichtenswert erscheint.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.