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Runder Tisch Zwangsmassnahmen Eine Geschichte ohne Happy End

Im Rechtstaat Schweiz hat man Unrecht begangen. Nicht in der grauen Vorzeit sondern noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Und man hat darüber geschwiegen.

Geschwiegen, dass man tausende Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer versorgt, fremdplatziert, verdingt, weggesperrt hat. In Heime, auf Bauernhöfe, in Strafanstalten – zum Teil gar ohne Gerichtsbeschluss. Viele dieser Menschen wurden misshandelt, psychisch und physisch. Manche wurden zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche missbraucht. Jahrzehntelang.

Dann endlich begann das Ausleuchten dieses dunklen Kapitels der Schweizer Sozialgeschichte. Unsozialgeschichte. Zwei Bundesrätinnen haben sich dafür entschuldigt. Für unsägliches Leid. Die Entschuldigungen waren längst überfällige Gesten einer Landesregierung, die ebenfalls viel zu lange weggeschaut hatte.

Lösungen – aber nicht für alle und alles

Entschuldigungen sind in der Politik mitunter wohlfeil und – sie sind vor allem gratis. Sie kosten nichts. Von Geld, von einer finanziellen Entschädigung für die Opfer wollte nämlich die Mehrheit der Volksvertreterinnen- und Vertreter im Bundeshaus anfänglich nichts wissen. Das sei Sache der Kantone. Die Devise: Nicht wir, die andern sollen.

Ein runder Tisch wurde installiert. Für die «umfassende Aufarbeitung von Leid und Unrecht im Zusammenhang mit den Opfern fürsorgerischen Zwangsmassnahmen». 15 Sitzungen. Am Tisch sassen Opfer, Behörden-, Bauern- und Kirchenvertreter. Es wurde geredet. Gestritten. Nach Lösungen gesucht. Und Lösungen gefunden. Aber nicht für alle und alles.

Einige haben den Tisch enttäuscht verlassen. Es lief nicht alles rund am runden Tisch. Aber er hat bewegt.

Dann kam Guido Fluri und sorgte mächtig für Druck. Der selfmade Millionär, der selbst seine Kindheit in Heimen und Pflegefamilien verbringen musste, machte denen in Bundesbern, die nur reden aber nicht zahlen wollten, Beine. Fluri lancierte die Wiedergutmachungsinitiative und forderte 500 Millionen Franken für die noch lebenden Opfer. Sie werden auf rund 15’000 geschätzt.

Der Druck des Volkes

Fluris Begehren stiess in der Bevölkerung auf enorm viel Sympathie und Verständnis. Auch, wenn dahinter oftmals nur die Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens stand.

Die Prognose sei gewagt: Die Wiedergutmachungsinitiative wäre vom Stimmvolk glatt angenommen worden. Es kam freilich nicht dazu. Angesichts einer drohenden Abstimmungsniederlage lenkte Bundesbern schliesslich ein und sagte ja zu 300 Millionen Franken für Solidaritätsbeiträge an die Opfer. Zum Vergleich ein Blick ins Ausland: Irland zum Beispiel stellte allein für die Entschädigung seiner misshandelten Heimkinder über eine Milliarde Euro bereit.

Aber in der Schweiz wollen längst nicht alle Opfer Geld vom Staat. Im Gegenteil: Viele wollen nichts mehr mit diesem Staat, mit den Behörden, mit den Nachfolgern der Täter von einst zu tun haben.

Anerkennung des Unrechts

Und so hat man einen ehemaligen Verdingbuben gefragt, was er sich denn wünsche, wenn er doch kein Geld wolle. Und der alte Mann hat gesagt: «Ich wünsche mir, dass man mich am Morgen anständig grüsst und mir einen guten Tag wünscht».

Die lange Geschichte über das Unrecht, das im Rechtsstaat Schweiz begangen wurde, wird kein Happy End haben. Aber die späte Aufarbeitung dieser unerträglichen Geschichte sollte zumindest mit Anstand und Respekt zu Ende geführt werden.

Der alte Mann und seine Leidensgenossen und Genossinnen haben ein Recht darauf. Nach dem Unrecht.

Peter Maurer

Inlandredaktor SRF

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Peter Maurer ist seit 1992 Inlandredaktor bei SRF.

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