Nach dem Angriff auf die Ukraine hat der Bundesrat die internationalen Sanktionen gegen Russland übernommen. Seither diskutiert die Schweiz intensiv über ihre Neutralität. Jetzt brütet die Regierung über einem nächsten schwierigen Entscheid: Soll sich die Schweiz den Sanktionen der EU gegen China anschliessen?
Diese hatte die EU im Frühling 2021 wegen der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Region Xinjiang verhängt. Auch die UNO hält in einem aktuellen Bericht fest, dass es in China zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegen muslimische Minderheiten kommt.
Der Bundesrat ringt seit fast eineinhalb Jahren mit der Frage, ob er sich diesen sogenannten thematischen Sanktionen anschliessen soll. Der Entscheid hat Sprengkraft: Die Schweiz hat mit China viel intensivere Handelsbeziehungen als mit Russland. China ist für sie das drittwichtigste Exportland.
Enge Wirtschaftsbeziehungen
Philip Mosimann ist Verwaltungsratspräsident von drei Industrie-Unternehmen, die mit und in China geschäften: Bucher Industries, Uster Technologies und der Amman Group. Er sagt: «Sanktionen haben sicher keine Wirkung, denn das ist Druck, den die Chinesen nicht akzeptieren. Hingegen haben wir dann den Schaden in unserem eigenen Land.» China sei eine Weltmacht – man dürfe den Einfluss der Schweiz nicht überschätzen.
Auch Wang Shihting, der chinesische Botschafter in der Schweiz, warnt implizit vor einer Übernahme der Sanktionen: «Ich glaube, dass alle, denen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wirklich am Herzen liegen, ein solches Vorgehen nicht gutheissen. Und die verantwortungsbewussten Politiker werden dies auch nicht zulassen.»
China-kritische Stimmen im bürgerlichen Lager
Doch im Parlament mehren sich die China-kritischen Stimmen – auch im bürgerlichen Lager. «Die Schweiz muss die Sanktionen übernehmen. Die Europäische Union ist nicht nur unser wichtigster Wirtschaftspartner, sie ist auch unsere Wertegemeinschaft», sagt die grünliberale Nationalrätin Tiana Moser.
Auch Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger plädiert für eine Übernahme: «Es gäbe ganz sicher Retorsionsmassnahmen, die auch unsere Wirtschaft belasten würden, aber ich bin auch klar der Meinung, wir dürfen nicht alles dem wirtschaftlichen Profit unterstellen.»
FDP-Ständerat Damian Müller sieht indes keinen Grund, die EU-Sanktionen zu übernehmen – er will auf den Dialog mit China setzen. Und er sieht die Wirtschaft in der Verantwortung: Schweizer Unternehmen müssten genau prüfen, mit wem sie Handel treiben.
«Kontrolle kaum möglich»
Uster Technologies – spezialisiert auf Messtechnik – exportiert auch nach Xinjiang. Die Uiguren-Region ist eines der grössten Baumwoll-Anbaugebiete. Und in der Baumwollgewinnung werden laut Expertenberichten hunderttausende Minderheitenangehörige zur Arbeit gezwungen.
Philip Mosimann erklärt, man halte sich an die Liste der USA: Dort werden Unternehmen aufgeführt, bei denen Zwangsarbeit stattgefunden hat. Zu diesen Firmen pflege man keine Geschäftsbeziehung. Darüber hinaus sei Kontrolle aber kaum möglich.
Ein Rückzug aus Xinjiang würde indes den Abbruch der Handelsbeziehungen mit China bedeuten – und das würde die Schweiz Arbeitsplätze und Wohlstand kosten, sagt Mosimann.
Die Schweizer Wirtschaft und Menschenrechte in China – es sind wohl diese beiden Grössen, die der Bundesrat beim Sanktionsentscheid gegeneinander abwägt.