In der Stadt Zürich soll kommerzielle Werbung auf öffentlichem Grund künftig verboten werden. Mehr noch, sogar auf privatem Boden soll Plakatwerbung massiv eingeschränkt werden. Die Mehrheit des Zürcher Gemeinderates ist der Ansicht, dass Werbung ausschliesslich zur Manipulation der Massen diene. Man stelle sich nur vor, wie zum Beispiel ein Plakat für traditionelle Baselbieter Leinenstickerei die Massen manipuliert! In Zürich wird kommerzielle Werbung grundsätzlich als etwas Schlechtes gesehen, weil sie gezielt und verdeckt Einfluss nehme auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten.
Für ein junges Pärchen mit Kinderwunsch ergibt ein Kinderwagenplakat durchaus Sinn.
Aber ist ein Plakat, auf dem ein top moderner Kinderwagen mit allen Schikanen beworben wird, schon Manipulation? Oder doch eher transparente Information, dass eine bestimme Firma für bestimmte Lebenslagen möglicherweise ein passendes Produkt im Angebot hat? Für ein junges Pärchen mit Kinderwunsch ergibt so ein Kinderwagenplakat durchaus Sinn. Im Gegensatz zu einem pensionierten Eisenleger. Jener fühlte sich wahrscheinlich eher angesprochen durch ein Plakat für künstliche Gelenke.
Dass Werbung uns beeinflusst, ist wohl unbestritten. Sonst wäre sie ja sinnlos. Aber was ich im Endeffekt kaufe und was eben nicht, bleibt meine eigene Entscheidung. Letztes Jahr vor Weihnachten zum Beispiel stach mir eine Werbung ins Auge für frische Erdbeeren. Das ist doch völlig absurd! Werbung hin oder her: Im Advent würde ich niemals Erdbeeren kaufen, solange der Spargel Aktion ist.
Ein lokaler Autohändler darf auch künftig einen 300‘000 Franken teuren Luxusschlitten bewerben.
Zurück zum Zürcher Werbeverbot: Interessanterweise gilt es nicht für alle. Ausgenommen sind zum Beispiel das lokale Gewerbe und die öffentliche Hand: Sie dürfen weiterhin ungehindert im öffentlichen Raum Einfluss nehmen auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Sprich: Plakate anschlagen. Ein lokaler Autohändler darf also auch künftig einen 300‘000 Franken teuren Luxusschlitten bewerben – aber wenn irgendein Frauenchor aus dem Hinterthurgau Eintrittskarten für 15 Franken anpreisen wollte, wäre es Kommerz.
Und auch Zürcher Politikerinnen und Politiker sind von dem beschlossenen Werbeverbot ausgenommen. Diese dürfen auch weiterhin nach allen Regeln der Werbekunst die Wählerschaft manipulieren – entschuldigung – ich wollte natürlich schreiben: ehrlich und transparent informieren. Mit Verlaub: Aber das ausgerechnet politische Werbung, die einem jeweils vor der Wahl das Blaue vom Himmel verspricht, ehrlicher und transparenter sein soll als irgendeine unverfängliche Reklame für einen Sack Bündner Bio Rollgerste – das ist einfach nur noch lachhaft!
Apropos, die Mehrheit des Zürcher Gemeinderates ist fest davon überzeugt: Dank des kommenden Werbeverbotes wird die Stadt «nachhaltiger, lebenswerter und gerechter» werden. Hand aufs Herz, aber andernorts braucht es dazu mehr Grünflächen, Fussgängerzonen und bezahlbare Wohnungen. In Zürich reicht es offenbar, wenn ein paar Plakatwände leer bleiben.