«Meistens hat, wenn zwei sich scheiden, einer etwas mehr zu leiden», das wusste schon Wilhelm Busch im 19. Jahrhundert. Im 21. Jahrhundert sei es nun Zeit, das Leid der kleinsten Betroffenen ins Zentrum zu stellen, erklärt der Waadtländer Regierungsrat Vassilis Venizelos: «Künftig sollen die Interessen der Kinder bei Trennungen im Zentrum stehen.»
Immer mehr Eltern würden sich trennen und bekriegen, hält der Präsident des Waadtländer Kantonsgerichts fest. Für Eric Kaltenrieder ist deshalb klar, dass es friedensstiftende Methoden für Trennungen braucht. Friedlich mit der Ex oder dem Ex verhandeln, ist allerdings leichter gesagt als getan.
Informationsanlass für Paare mit Kindern
Die Waadtländer Justiz, Gerichte und Sozialdienste haben deshalb gemeinsam eine neue Methode ausgearbeitet. Der Kanton will künftig Einfluss nehmen, bevor der Konflikt eskaliert. Eltern, die sich trennen, müssen künftig zuerst an einen Informationsanlass (und zwar getrennt, wenn nötig). Dort werden sie an ihre elterlichen Pflichten erinnert. Sie werden ermahnt, die Kinder aus ihren Streitereien rauszuhalten, sie nicht als Spione oder Botengänger zu einzusetzen.
Auch die Kommunikation mit dem Gericht wird angepasst, erklärt der oberste Waadtländer Richter. Scheidungsbegehren sollen künftig keinen Platz mehr lassen für Anschuldigungen und Angriffe, das vergifte nur die Stimmung. Formulare erfragen künftig nur noch die nötigsten Informationen: Familienstruktur, Einkommen, Bedürfnisse.
Kinder werden angehört
Zwei andere Schritte werden dafür künftig schon vor dem ersten Gerichtstermin erledigt: Erstens werden die Kinder angehört und zweitens schwere Vorwürfe wie beispielsweise eine Drogensucht behördlich abgeklärt. Nach der ersten Anhörung vor Gericht müssen die Trennungswilligen künftig in Mediation. Fünf Sitzungen werden bezahlt. Ziel sei ein von den Eltern selbst ausgehandelter Kompromiss. Das sei nachhaltiger als ein richterlicher Entscheid.
Der Kanton Waadt ist nicht der erste Kanton, der mehr Einvernahme bei Scheidungen will: Schweizer Vorreiter in diesem Bereich ist Basel-Stadt, wo es «angeordnete Beratungen» gibt. Das Wallis hat vor zwei Jahren ein ähnliches System eingeführt und in mehreren Kantonen laufen derzeit diesbezügliche Abklärungen.
Zur Mediation zwingen können die Kantone Eltern nicht. Aber sie können sie mehr dazu drängen. Es lohne sich, ist der oberste Waadtländer Richter überzeugt, denn ein Kompromiss baue einen Weg in die Zukunft.
In zwei Jahren wird Bilanz gezogen
Das Projekt im Kanton Waadt ist vorerst auf einen Gerichtsbezirk beschränkt. Ist die Bilanz in zwei Jahren positiv, wird ausgeweitet. Gemessen wird der Erfolg anhand der Dauer der Gerichtsverfahren und der Zahl der Rekurse, erklärt Regierungsrat Vassilis Venizelos. Aber auch das psychische Befinden von Scheidungskindern soll besser werden.
Konfliktbeladene Trennungen und Kampfscheidungen sind belastend. Und zwar für alle Involvierten: Für die Kinder, die Eltern und für die Justiz.